Lebensgeschichten burgenLändischer roma anton PaPai geb. 1928 | hoLzschLag im gesPräch eine zeitzeugen-dokumentation von roma-service d|rom|a sonderreihe 05 /15 d|rom|a sonderreihe 05/15 eine zeitzeugen-dokumentation von roma-service „ich habe es keinem erzähLt, es hätte mir niemand gegLaubt“ ein mangelhaft ausgeprägtes historisches bewusstsein bei der zusammenstellung der sonderreihe im allgemeinen und ein fehlendes unrechtsbewusstsein wurde darauf geachtet, unterschiedliche berufsspar- im speziellen waren lange zeit der grund dafür, dass der ten und regionen (nord- und südburgenland) zu völkermord an den österreichischen roma und sinti nur berücksichtigen und mehrere generationen zu Wort in der erinnerung der Überlebenden vor dem vergessen kommen zu lassen: elf interviewpartner wurden bewahrt wurde. rund 90 % der ca. 8.000 burgenland- vor oder während der ns-herrschaft geboren, vier roma, der mit abstand größten österreichischen roma- nach 1945. allerdings war es auch durch intensivstes gruppe vor 198, wurden während der nationalsozialis- bemühen nicht möglich, mehr als zwei interview- tischen herrschaft ermordet. ihre kultur war nahezu partnerinnen zu gewinnen. ausgelöscht, die wirtschaftliche existenzgrundlage vier der zeitzeugengespräche wurden auf vernichtet und die soziale struktur zerstört. roman (burgenland-romani) geführt und sind als simulanten und Lügner verunglimpft, standen deshalb zweisprachig wiedergegeben. bei der die Überlebenden nach 1945 vor einem scherbenhau- verschriftlichung der interviews haben wir darauf fen. Vielen gelang es nicht, sich damit abzufinden – geachtet, die sprachlichen eigenheiten weitgehend sie flohen in die Anonymität der Städte und suchten zu bewahren. Eine – behutsame – Bearbeitung bzw. ihre roma-herkunft zu verbergen. andere zeigten sich kürzung der transkriptionen war jedoch unum- weiterhin als roma und mussten feststellen, dass die gänglich und führt bisweilen zu unterschieden befreiung vom nationalsozialismus die kontinuität der zwischen der text- und videofassung. Jede bro- diskriminierung nicht durchbrechen konnte. schüre ist als eigenständige, in sich geschlossene darüber geben die 15 Lebensgeschichten auskunft, veröffentlichung zu betrachten und kann einzeln die zwischen 2006 und 2008 vom verein „roma-service“ erworben werden. In limitierter Auflage wird auch aufgezeichnet wurden und nun – als Sonderreihe der ver- eine gesamtedition erhältlich sein. einseigenen Zeitschrift „dROMa“ – erstmals als Edition viele der interviewpartner haben über man- vorliegen. sie veranschaulichen, was es bedeutet hat, ches ereignis mit uns überhaupt zum ersten mal einer ausgegrenzten und der vernichtung preisgegebenen gesprochen. Wir danken ihnen und ihren Familien minderheit anzugehören, sie zeigen, welche Last auf den für ihr vertrauen! schultern der nachfolgenden generation liegt, und sie belegen, dass die kultur der roma selbst verfolgung und Schukar tumenge palikeras! Te del o Del hot tumaro ausgrenzung überdauern konnte. pharipe taj schukaripe le ternenca dureder te dschil Mri Historija („meine geschichte“) verweist in taj schoha na pobisterdo te ol! diesem sinne auf einen vergessenen teil der österrei- chischen geschichte, drückt aber auch ein neues selbst- Emmerich Gärtner-Horvath und das Projektteam bewusstsein aus, das das recht auf anerkennung offen einfordert. die insgesamt 15 broschüren sind jeweils einer Person gewidmet und umfassen das gespräch, illustriert mit pri- gartenstraße , 7511 kleinbachselten vaten Fotos und historischen dokumenten, eine vom orF- tel./Fax: +4 (0)66 7864 Burgenland produzierte DVD sowie eine Kurzbiografie. E-Mail: [email protected] | www.roma-service.at 2 Lebensgeschichten burgenLändischer roma anton PaPai im gesPräch mit michaeL teichmann & emmerich gärtner-horvath FEBRuAR 2006 – HOlZScHlAg Anton Papai wurde am 17. Februar 1928 im süd-burgenländischen Holzschlag (Gemeinde Unterkohlstätten, Bezirk Oberwart) geboren; er lebt heute in Holzschlag. „es War eine grausige kindheit“ Haben vor 1938 viele Roma in Holzschlag gelebt? Wir waren mehr als die nicht-roma draußen im dorf, insgesamt hat es drei roma-siedlungen gege- ben. und alle sind weggekommen, meine gesamte verwandtschaft ist vernichtet worden. Wir sind die einzige Familie unserer verwandtschaft, die 1945 zurückgekommen ist. und dann ist es uns natürlich nicht so glänzend gegangen – keine Arbeit, nichts zum essen. später bin ich in einen ort in der nähe Anton Papai, Holzschlag, 2006 von kirchschlag [Bezirk Wiener Neustadt, Nieder- österreich] gegangen, zu den einschichtigen bauern. ich bin dort in den dienst gekommen und dann, als es musste das holz transportiert werden, das habe ich uns langsam besser gegangen ist, bin ich wieder von meistens während meiner urlaubstage erledigt. ich dort weg. ich bin wieder heim, hierher gekommen. hab keinen einzigen sonntag, keine freie minute ge- sie haben zu dieser zeit angefangen, die bun- habt. so war mein arbeitsleben, bis ich 60 Jahre und desstraße von eisenstadt nach oberwart zu bauen, drei monate alt war. 46 Jahre habe ich gearbeitet, und dort habe ich dann sechs Jahre im straßenbau dann bin ich in Pension gegangen. ich war alleinver- gearbeitet. dann war die arbeit aus, die straße war diener, vier kinder, es war nicht einfach. als Pendler fertig, und ich bin nach Wien gependelt. 40 Jahre hat man ja das doppelte geld gebraucht, aber ich lang, am montag hinauf, am Freitag hinunter. an habe es geschafft, bis heute. den Wochenenden bin ich in den Wald gegangen, um zweimal habe ich ein haus gebaut: zuerst holz zu hacken. dann musste gemäht werden. dann einmal oben zusammen mit meinem vater, und 2 anton PaPai | im gesPräch Roma-Siedlung Bernstein (Bezirk Oberwart), 30er-Jahre | Vater Franz Papai, geboren 1892 in Holzschlag dann habe ich den grund hier herunten gekauft kommen, keiner, niemand. 199 sind wir weggezo- und habe da zu bauen begonnen. das erste haus gen, ich bin in hainfeld [Bezirk Lilienfeld, Niede- haben wir abreißen müssen, weil ich das material rösterreich] in die schule gegangen. und dort sind gebraucht habe, einen teil davon. 1964 sind wir die sa-männer gekommen und haben uns ins Lager dann hier eingezogen. Lackenbach gebracht. Fünf Jahre war ich dann dort. und das war nicht lustig, es war eine grausige Wie viele Roma-Familien waren es insgesamt, die kindheit, es war nicht schön. nach 1945 zurückgekehrt sind? insgesamt sind drei roma-Familien nach „das Wort ‚zigeuner‘ Wird holzschlag zurückgekehrt: ein nachbar, er war man ihnen nie Wegnehmen schmied, meine schwiegereltern und wir. mein können“ schwiegervater hat mit uns im straßenbau gearbei- tet. später sind meine schwiegereltern dann nach salzburg gezogen. Was hat Ihr Vater für einen Beruf gehabt? hier waren alle hilfsarbeiter, gelernte hatten wir Können wir noch einmal zurückgehen? Wie war die keine dabei. Jetzt, nach dem krieg, haben meine Situation für die Roma vor dem Krieg? Können Sie kinder alle einen beruf erlernt. schildern, wie Sie das damals erlebt haben? sie war nicht gut. auf uns wurde immer herab- Es hat ja damals vor dem Krieg bittere Armut gesehen, immer und ewig. bei uns hier, in holz- geherrscht. Wie ist es Ihrer Familie gelungen zu schlag, günseck [Gemeinde Unterkohlstätten, überleben? Bezirk Oberpullendorf], war nicht einer dabei, der na ja, ich war ja damals noch ein kind, ich nicht gearbeitet hätte. alle haben gearbeitet, und kann mich auch nicht so erinnern. aber was ich trotzdem haben sie uns weggebracht. mein vater weiß, ist, dass mein vater immer fort war, so wie hat sechs brüder gehabt, und keiner ist zurückge- ich später dann auch, immer auswärts. als Junger 4 55 Lebensgeschichten burgenLändischer roma war er in ungarn, das burgenland hat ja zu un- garn gehört. er hat auch perfekt ungarisch, italie- nisch, russisch, roman [Burgenland-Romani] und deutsch können, er war fünfsprachig, der mann, hat aber weder lesen noch schreiben können. mein vater hat immer erzählt, dass sie bis grimmenstein [Bezirk Neunkirchen, Niederösterreich] zuerst zu Fuß gehen mussten, und erst von dort haben sie dann wegfahren können. ich weiß nicht genau, wo sie überall zum arbeiten hingefahren sind. er war auch nie daheim. Haben Sie bei den Bauern gearbeitet? nein, am bau. und keiner hat lesen und schreiben können, meine mutter hingegen hat es schon können. aber von unseren roma hat es keiner können. Wie groß war Ihre Familie? „Zigeunerlager“ Lackenbach, 1940. Zwischen Wir waren sechs kinder, zwei sind schon ge- November 1940 und April 1945 waren insgesamt storben. ich bin der älteste und diesen 17. Februar circa 4.000 Roma, vorwiegend Burgenland-Roma, in [2006] werde ich 78. Lackenbach interniert. Der Großteil der Häftlinge wurde von hier nach Łódź oder Auschwitz-Birkenau Sie haben erzählt, dass sich Ihre Familie 1939 deportiert, zumindest 237 Personen starben in entschlossen hat, nach Niederösterreich zu gehen. Lackenbach selbst. Ja, mein vater hat dort gearbeitet, in einer Fabrik, in einer ofengießerei, er war praktisch eisengießer. er hat dann draußen eine Wohnung gesucht, und verheiratet, die zwei Frauen haben sie schon unter- dann hat er seine Familie nachgeholt. Wir waren einander geredet, aber wir männer nicht, wir haben von 199 bis 1941 dort, in hainfeld. und dort hat sie dann gar nicht mehr können. das war ein Fehler eigentlich keiner gewusst, dass wir Roma sind – ha- von mir. und auch von meinem bub, der bäcker ist. ben wir geglaubt, aber sie haben uns auch geholt. dessen kinder wissen heute noch nicht, dass wir die roma-sprache haben wir nicht sprechen dürfen, roma sind. das ist ein Fehler auch von ihm, das hät- weder vom vater noch von der mutter aus. die spra- te er nicht tun dürfen, die haben natürlich überhaupt che war tot. Jeder glaubte, dass sie uns wegbringen, keine ahnung von den roma, von der sprache schon wenn wir sie sprechen. aber sie haben uns so oder so gar nicht. also, verstehen tue ich alles, aber mit dem weggebracht. und im Lager haben wir dann wieder reden tue ich mir schwer, weil ich so lange nicht angefangen, die roma-sprache zu reden. ich habe geredet habe. da muss ich immer nachdenken, wie sie schon noch können und dann habe ich sie bis das gesagt wird. zum 19. Lebensjahr gesprochen. dann ist der bub geboren worden und ich habe gesagt: „so, jetzt ist Können Sie schildern, wie das 1939 war, als die schluss mit der roma-sprache!“ SA-Leute gekommen sind? da war ich selber schuld daran, das hätte ich da waren wir nicht mehr in holzschlag, als sie nicht tun dürfen! und wir haben nie mehr die roma- alle fortgekommen sind. die Frauen und männer sprache gesprochen, nie mehr. aber meine Frau haben sie damals auch schon weggebracht. aber wo und ihre schwester, die war ja mit meinem bruder sie hingekommen sind, weiß ich nicht. ins Lager 4 55 anton PaPai | im gesPräch Polizeifotos verschleppter und später ermordeter Holzschlager Roma; v. l. n. r.: Anton Papais Großonkel Rupert Papai (geb. 1905), Gisella Papai (geb. 1906), Anton Papais Onkel Ludwig Papai (geb. 1907) halt. Lastwägen sind gekommen und haben die aber gesagt hat sie nichts. Ja, und in der nacht Leute aufgeladen. und dabei haben sie noch fest sind sie dann gekommen, und „ho ruck, gemma!“, zugeschlagen, die sa-männer, die holzschlager. die und weg waren wir. Lackenbach war praktisch ein günsecker nicht, das waren anständige Leute, da hat sammellager, von dort sind die großen transporte es so etwas nicht gegeben. aber bei den holzschla- nach Auschwitz und Łódź gefahren. [Das Ghetto gern waren schon welche dabei, die die roma nicht Łódź/Litzmannstadt umfasste ein „Zigeunerlager“, gemocht haben, auf deutsch gesagt. auch heute in das im November 1941 über 5.000 Roma aus dem noch nicht, diese Feindschaft wird man nie aus Burgenland, 2.000 davon allein aus Lackenbach, ihnen herausbringen. das Wort „zigeuner“ wird man deportiert wurden.] ihnen nie wegnehmen können. und in der roma- sprache kommt der name ja gar nicht vor, das ist „und dann Wurden sie ein schimpfname. Für mich auf alle Fälle. und aus verbrannt“ meinem Mund – nur wenn ich es sagen muss, aber sonst werde ich es nie sagen, nie! das sind „roma“ oder: „ein rom“, „die romni“. Was dann hier pas- Sie sind direkt nach Lackenbach gekommen? siert ist, als wir fort waren, weiß ich nicht. Ja, dort war ich dann. zuerst haben wir einen Lagerleiter gehabt, das war ein mörder, der hat die Und 1939 in Niederösterreich kam auch die SA? Leute erschlagen. Ja, dort auch. Für mich war das merkwürdig, weil ich doch schon zwölf Jahre alt war. die Lehrerin hat Der Langmüller? sich von uns verabschiedet, von mir, meinem bru- Ja, der Langmüller. [Franz Langmüller, von der und der schwester. das habe ich dann daheim Jänner bis September 1942 Lagerkommandant des erzählt. es war seltsam, weil sie das davor nie getan „Zigeuneranhaltelagers“ Lackenbach.] dann haben hatte. sie hat schon gewusst, dass wir wegkommen. wir die sturmführer [gemeint sind die Lagerleiter 6 77 Lebensgeschichten burgenLändischer roma SS-Obersturmführer Fritz Eckschlag und SS-Un- so genannten „selchgraben“ gearbeitet. nach dem tersturmführer Julius Brunner] bekommen, und die krieg hat ein jeder geschaut, zu seiner Familie zu waren schon besser. und die buben, sagen wir die kommen. und ich bin eben dann von Lackendorf halbstarken, sind alle zu den bauern hinausgeschickt zu Fuß nach kobersdorf gegangen. dort ist ja worden, um kühe zu halten, in der Landwirtschaft zu noch geschossen worden, und wir sind in den Wald arbeiten. ich war zuerst der hofpartie zugeteilt, dann gegangen. so haben wir überlebt. und dann sind der tischlerei, später habe ich im maschinenhaus wir wieder hierher gekommen, nach holzschlag. des sägewerks arbeiten müssen, als schmierer, da in Lackenbach waren schon die russen, aber hier war ich 1 Jahre alt. und von dort bin ich dann auch noch nicht. das elternhaus war stehen geblieben, weggekommen. Wieso, weiß ich nicht. die anderen häuser waren alle weg, alles war weg- gerissen worden. Was hat „Hofpartie“ bedeutet? und in der nacht sind die deutschen soldaten man hat den ganzen exerzierplatz sauber halten gekommen, mein lieber Freund! das war nicht müssen, den ganzen hofbereich. da war so eine ausgemacht, was da geschehen wird. und die haben Partie von buben, die das sauber halten musste. und mit dem vater dann verhandelt, und er hat ihnen dann bin ich in die tischlerei gekommen, so haben erzählt, wo die russen sind. und dann sind wir von sie es jedenfalls genannt. der zuständige mann hat unserem haus nach günseck gekommen. Wir sind mich angeschaut und gesagt: „du kommst mit!“ und in der schule einquartiert worden, und dann haben dann war ich in der Tischlerei – ich habe aber keine wir unser haus so halbwegs herrichten können, ahnung davon gehabt. am anfang haben wir särge soweit wir es halt selbst machen konnten. Weil man gemacht, für die toten im Lager. aber nachher, als ja kein material bekommen hat, der Fußboden war die Typhusepidemie ausgebrochen war, sind die leu- herausgerissen worden, da waren keine möbel, gar te nur mehr in ein Loch gekommen. im Judenfried- nichts. dann waren wir daheim, aber es hat nichts hof, zugeschüttet und aus, kalk darüber und fertig. zu essen gegeben. ich bin nach kirchschlag gegan- von dort bin ich dann nach Lackendorf [Bezirk gen, in die einschicht, um in dienst bei den bauern Oberpullendorf] gekommen, als schweinehirte. im zu gehen. von 1948 bis 1955 habe ich dann beim volksmund heißt das „sauhalter“. dort ist es mir straßenbau gearbeitet. dann ganz gut gegangen, in der Früh habe ich die schweine heraustreiben müssen, da war ein großer Und hat man am Abend in Lackenbach immer Platz, eine Wiese, und am abend habe ich sie wie- wieder zurück ins Lager gehen müssen zum der in den stall getrieben. zu mittag bin ich heim Übernachten? essen gegangen, und dann habe ich für den chef dort habe ich schon bei dem sauhalter geschla- das essen mitgebracht und für die zwei hunde. fen. im Winter habe ich im stall geschlafen, weil es dort ist es mir dann schon besser gegangen. und im zimmer zu kalt war. im sommer habe ich aber dort war ich bis zum schluss, bis der krieg aus ein zimmer gehabt. war. dann bin ich zu meinen eltern, die waren in kobersdorf [Bezirk Oberpullendorf) und haben im Und hat man sich in Lackenbach dann immer straßenbau gearbeitet. melden müssen? nein, ein berittener ist nachschauen gekommen, War Ihre gesamte Familie zunächst in Lackenbach? ob alles in ordnung war, ob ich mich richtig verhal- Ja, aber wir waren verstreut. die eltern sind ten habe, das hat er bei jedem getan. und manche von Lackenbach nach kobersdorf gekommen, im haben im lager übernachten müssen – die, die in straßenbau und im steinbruch haben sie gearbei- Lackenbach bei den bauern waren. als ich im säge- tet. und ich war in Lackendorf, und mein älterer werk gearbeitet habe, habe ich auch zum schlafen bruder war auch dort. der andere bruder hat im und zum essen hinauf ins Lager gehen müssen. 6 77 anton PaPai | im gesPräch „Wo ist gott gebLieben?“ Wie war das Lager Lackenbach organisiert? von dachau oder mauthausen haben sie männer nach Lackenbach gebracht, die das Lager zusammen mit den Lagerkommandanten geführt haben. und es waren diese kapos, die die Leute halb erschlagen haben, für nichts und wieder nichts. [Lagerhäftlinge, die von der SS als Ordnungsorgane eingesetzt wurden. Die vermeintliche Aussicht, damit der eigenen Ermordung zu entgehen, ver- anlasste viele, der Erwartungshaltung der Lagerleitung in besonderer Weise gerecht zu werden.] Wenn essensaus- teilung war und wir angestanden sind, da waren zwei auf der einen seite und zwei auf der anderen. das waren die kapos, und wehe, du warst nicht in der reihe. die haben zugeschlagen, dass du geglaubt hast, es ist aus. Wenn sich jemand etwas zu schulden kommen hat lassen, auch wenn Anton Papai, Lackenbach, 1940: „... da war ich es nur eine kleinigkeit war, hat er auf den so genannten 15 Jahre alt. Die Bekleidung, die ich anhabe, bock müssen. und dort hat er 25 schläge bekommen, und war von dem Enkelsohn der Leute, bei denen ich das war das schlimmste. sie haben alle antreten lassen, in Dienst gegangen bin.“ ein kreis hat gebildet werden müssen, und in der mitte ist der so genannte bock gestanden. und dort ist derjenige dann geschlagen worden, er hat selbst mitzählen müssen, Und wie waren die Zustände im Lager? und einer hat ihn vorne gehalten. Wenn er geschrien hat, es sind viele menschen erfroren, die Füße hat er eine mit der Faust ins gesicht bekommen. sind ihnen abgenommen worden, die zehen und das waren zigeuner, roma! deswegen habe sind abgefroren. das war ja praktisch nur ein ich gesagt, ich möchte mit den roma nichts mehr stadel, in dem wir untergebracht waren. und zu tun haben. die grausigsten menschen, die es in die, die keine decke gehabt haben, denen ist es Lackenbach gegeben hat, waren unsere roma! das schlecht gegangen. einem haben sie beide Füße eigene volk hat die anderen halb erschlagen. Für nichts abnehmen müssen; einem, den ich gekannt habe, und wieder nichts. und den roma, die das getan ha- haben sie einen Fuß abgenommen, alles abgefro- ben, werde ich nie vergeben – es lebt eh keiner mehr. ren. und ein paar habe ich gekannt, denen nur Was mir bekannt ist, sind eh schon alle verstorben. das die zehen abgenommen worden sind, weil auch waren grausige Menschen. Mit ihnen – das habe ich alles abgefroren war. Ja, und dann ist die krank- mir schon als junger Mensch geschworen – wollte ich heit ausgebrochen: Typhus. und das war dann nie wieder etwas zu tun haben. nie mehr. Wenn ich sie ganz schlimm. wo gesehen habe, bin ich ausgewichen. ich habe mich in Lackenbach haben sie unter den Leuten, die daraufhin aber von allen roma abgesondert. aber es nach auschwitz gekommen sind, verbreitet, sie waren ja nicht alle gleich, es waren ja andere auch da, würden in irgendein Land kommen, eine Land- die mit uns gelitten haben. wirtschaft erhalten oder in der Landwirtschaft aus unterschützen war auch einer dabei, er war arbeiten. und die haben sich gefreut, endlich weg zweiter Lagerältester. Was die mit den Leuten aufgeführt von da, und dann wurden sie verbrannt. nach haben! Fürchterlich! es gab einen kindergarten, mit auschwitz sind sie gekommen und aus war es draht eingezäunt. die mütter haben ja im straßenbau – nichts hat man mehr gehört, gar nichts. und im steinbruch arbeiten müssen. die kinder waren 8 99 Lebensgeschichten burgenLändischer roma Anton Papai, Lackenbach, 1940: „... das Fahrrad gehört auch nicht mir. Das ist mir geborgt worden – auch von diesem Enkelsohn.“ | Einweisung eines Holzschlager Rom ins Lager Lackenbach, 1944 (Bestand DÖW) allein, sie haben sich angemacht, kein mensch hat um für die küche das holz zu besorgen, bäume zu sie gewaschen. ich möchte gar nicht mehr daran fällen und ähnliches. von den sinti hat keiner eine denken. immer, wenn ich daran denken muss, muss säge feilen können. am abend, wenn sie heimge- ich weinen. so gut ist es den kapos daheim nie ge- kommen sind, haben sie das Werkzeug in die Werk- gangen, die haben im Lager alles gehabt, ich weiß statt gegeben. Wir haben dann die hacken feilen nicht, wo sie es hergehabt haben. müssen, zum schleifen haben wir ja nichts gehabt. Wir haben hackenstiele angefertigt, die habe ich Und die Kapos kamen von Mauthausen nach schon auf vorrat gehabt. bis spät in die nacht haben Lackenbach? wir arbeiten müssen. in der Früh um sechs uhr ha- die haben das Lager geführt, das waren die größ- ben wir dann wieder „habt acht“ stehen und antreten ten gauner. und heute bekommen sie haftentschä- müssen. und dann ist es wieder in die Werkstatt ge- digung und was weiß ich noch. Weil sie die Leute gangen, um weiterzuarbeiten. Wir haben in Lacken- umgebracht haben? bach sogar saustallungen und ähnliches gebaut. ich habe verwandte sogar in südafrika. ob die Wir haben einen gelernten zimmerer dabeige- noch leben, weiß ich nicht. die waren in keinem habt. er war aus Lackenbach, war aber kein rom. Lager. einer meiner cousins war soldat, er war er ist zu einem Jahr Lackenbach verurteilt worden eingerückt. als sie die roma von hier weggebracht – warum, weiß ich nicht –, und er hat mich in die haben, war er gerade auf urlaub daheim. er hätte Werkstatt gebracht. als sein Jahr aus war, hat er nicht mitgehen müssen, aber er ist mit seiner Familie wieder heimgehen können. und der war bekannt, mit, in seiner uniform. deswegen sind wir auch zu den bauern hinausge- kommen, um saustallungen zu machen. aber die Sie wollten vorhin von der Tischlerei erzählen? bauern haben dir kein stück brot gegeben. ent- Ja, da haben wir eine Waldpartie gehabt. es weder haben sie sich nicht getraut oder sie haben waren viele Leute, die in den Wald gegangen sind, nichts gehabt, keine ahnung. aber normalerweise 8 99 anton PaPai | im gesPräch haben sie holzschuhe ausgeteilt. da war keine sohle, sondern holz, so wie bei den holländern, aber mit denen hat man nur schwer gehen können, weil sie sich nicht abgebogen haben. im Winter haben wir stroh hineingegeben. das stroh, das wir gehabt haben, ha- ben wir hineingegeben. ach gott … Wo ist gott geblieben, wo? Wieso hat er zugeschaut, wofür? ich weiß nicht, ob das veröf- fentlicht wird, es ist mir auch egal. aber ich glaube nicht mehr an gott! er hätte nicht zugesehen. da hat er sich nicht nach vorne getraut, da hat er sich versteckt. es gibt ihn nicht, weil er nicht zugesehen hätte, das ist meine anschauung. so ist das. aber die kirchensteuer zahle ich immer pünktlich. da bekom- me ich immer einen brief, und die bedanken sich freundlich. Roma aus dem „Zigeunerlager“ Lackenbach wurden Hat es im Lager eigentlich Kontakte zu den Sinti zur zerstörten Synagoge befohlen, um Baumaterialien gegeben? aus dem Schutt zu gewinnen; Lackenbach, 1941 Das war im Meierhof, in den Esterházy-Stal- lungen, eine scheune war es. dort waren sie unter- gebracht, da waren Pritschen hineingebaut, bretter. hat jeder bauer ein stück brot, aber sie haben dir und jeder hat ein bisschen stroh bekommen. dort nichts gegeben. sind sie dann gelegen – sind wir gelegen, sagen wir so, weil ich ja auch dabei war. und dann haben Was habt ihr im Lager zu essen bekommen? wir baracken bekommen, die haben wir dann auch zu mittag haben wir wieder ins Lager zurückmüs- heizen können. das war dann der Fall, als der un- sen. dann hast du deine rüben geholt, die steckrüben, tersturmführer [Julius Brunner, Lagerleiter 1943 bis so gelbe rüben waren das. man hat sein essen geholt, 1945] bereits da war. der hat das eingeführt. und ich habe auch für die kinder das essen geholt. so haben wir die zeit verbracht. und am abend haben Nach dem Langmüller? die Frauen noch in die küche gehen müssen, um für Ja, das war nach dem Langmüller. und vorher den nächsten tag rüben zu schälen. zuerst haben ist man kahl geschoren worden, und das hat es sie das essen mit den Pferden hinausgefahren zu den dann nicht mehr gegeben. er hat sogar entlau- baustellen, straßenbau usw. Was mit den rössern sungsmaschinen hingestellt, man hat sich baden passiert ist, weiß ich nicht, aber später haben wir es können, hat sogar müssen. Wir haben natürlich dann gemacht. es hat die so genannten essensträger angst davor gehabt, weil es dann schon durchgesi- gegeben, und da war ich auch ein paar mal dabei. das ckert war, dass in auschwitz auch jeder in die bä- war eine katastrophe. zwei buben haben mithilfe der hat müssen und keiner mehr zurückgekommen einer stange die kessel zu den baustellen schleppen ist. davor hat man angst gehabt. es war aber nicht müssen. und da ist natürlich auch einer zur aufsicht der Fall, und man ist entlaust worden. die kleider mitgegangen, und man hat natürlich nicht sagen kön- sind in einen großen kessel gekommen, und dort nen: Jetzt nehm’ ich mir was raus! dort ist das essen sind sie entlaust worden. das hat auch ein rom dann ausgeteilt worden, und wir sind mit den kesseln geführt, er war aus bernstein [Bezirk Oberpullen- wieder zurückgegangen. das war fürchterlich. dann dorf], er hat das eingeteilt. 10 1111
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