Angst bewältigen Sigrun Schmidt-Traub Angst bewältigen Selbsthilfe bei Panik und Agoraphobie – Den Rückfall vermeiden – Fallbeispiele und konkrete Tipps 5., vollständig überarbeitete Auflage Mit 4 Abbildungen 1 C Dr. Sigrun Schmidt-Traub Berlin ISBN 978-3-642-34586-9 ISBN 978-3-642-34587-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-34587-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. SpringerMedizin © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1995, 2001, 2005, 2008, 2013 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Über- setzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungs- anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestim- mungen des Urheberrechtsgesetzes. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne be- sondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marken- schutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Monika Radecki, Heidelberg Projektmanagement: Sigrid Janke, Heidelberg Lektorat: Barbara Buchter, Freiburg Projektkoordination: Heidemarie Wolter, Heidelberg Umschlaggestaltung: deblik, Berlin Fotonachweis Umschlag: © Goran Kuzmanovski / shutterstock.com Herstellung: Crest Premedia Solutions (P) Ltd., Pune, India Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Medizin ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer.com V Für Maika, Diana, Hajo, Guido und Henner VII Vorwort Angst ist ein lebenswichtiges Gefühl, das den Menschen aufrüttelt. Sie zeigt ihm Ge- fahren auf und trimmt ihn auf Höchstleistung, damit er flüchten oder kämpfen kann. Unbedeutend fürs Überleben und nur quälend sind dagegen panische Angstzustände ohne erkennbare Gefahrenquelle, ebenso wie die ausgeprägte Befürchtung, weitere Pa- nikanfälle (Panikstörung, Angst vor der Angst) zu erleiden. Sie gehen mit unangeneh- mer Anspannung einher und treiben ängstliche Personen oft dazu, Angstsituationen zu vermeiden (Agoraphobie). Diese unbegründeten Angstzustände verschleißen Energien. Panische und phobische Ängste sind stark verbreitet. Etwa 14 % der Bevölkerung haben eine oder mehrere Angststörungen, wie aus einer neuen, großangelegten epidemiolo- gischen Studie (über das Vorkommen von psychischen und neurologischen Erkran- kungen in der Bevölkerung) hervorgeht, die in 30 europäischen Ländern durchgeführt wurde. Danach nehmen Angststörungen – vor allem in jüngeren Altersgruppen – zu. Andererseits werden Angststörungen heute aber auch leichter erkannt. Etwa 1,5–2,5 % der Bevölkerung leiden irgendwann in ihrem Leben an Panikstörung und gut 5 % an Agoraphobie. Nur ein Viertel bis ein Drittel kommen in Behandlung, darunter ver- mehrt Frauen. Panische und agoraphobische Ängste gehören zu den häufigsten psychischen Störun- gen bei Frauen. Einige müssen ihren Beruf aufgeben, weil sie derart beeinträchtigt sind, dass sie nicht mehr ohne Begleitung das Haus verlassen können. Bei Männern sind Ängste die zweithäufigste Störung nach den Suchterkrankungen. Personen mit panischen und agoraphobischen Ängsten richten ihre Aufmerksamkeit auf körperlich-vegetative Empfindungen und beobachten sie ängstlich. Heftige körper- liche Symptome wie Herzrasen, Atemnot oder Schwindel, die ganz verschiedenartige Ursachen haben können, bewerten sie als Alarmzeichen, weil sie sich davon bedroht fühlen. Infolge dramatischer Fehlinterpretationen treffen sie Schutzvorkehrungen, um sich in Sicherheit zu wiegen. Tatsächlich erreichen sie damit aber das genaue Gegenteil: Ihre Angstbereitschaft nimmt zu. Warum das so ist, wird in diesem Buch erklärt. Manche Betroffene versuchen, sich gegen panikartige Angst zu schützen, indem sie immer wieder einen Arzt aufsuchen, beruhigende Medikamente einnehmen oder zum Alkohol greifen, der stets verlässlich entspannt. Heilen können weder Beruhigungsmit- tel noch der Alkohol. Dafür machen diese Stoffe abhängig, sodass ängstliche Personen sich noch zusätzliche Probleme schaffen. Nach Absetzen von Medikamenten oder Al- kohol kommt es in der Regel zu einem Rückfall in die Angst. Unbehandelte Angststörungen nehmen langfristig einen schlechteren Verlauf als schwere Depressionen. Deshalb sollten panikartige und agoraphobische Ängste unbe- dingt behandelt werden. Aber nur 10 % der Angstpatienten erhalten eine angemessene VIII V orwort Behandlung nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Dringlichkeit einer Therapie ist inzwischen offenkundig: Ab 2013 werden »Angst- und Zwangsspektrums- Störungen« stärker im Finanzausgleich der gesetzlichen Krankenkassen (morbiditäts- orientierter Risikostrukturausgleich) berücksichtigt. Die Kassen werden stärker in Be- handlungskosten und wirkungsvolle Versorgungsleitlinien investieren. Die Therapie der Wahl für die Behandlung von Panikstörung und Agoraphobie ist die kognitive Verhaltenstherapie. Sie ist eines der drei anerkannten Psychotherapie-Richt- linienverfahren der Krankenkassen. In diesem Buch werden kognitiv verhaltensthe- rapeutische Vorgehensweisen vorgestellt. Lernpsychologie, kognitive Psychologie und Verhaltenstherapie bilden die theoretischen Grundlagen. Mit Hilfe der kognitiven Verhaltenstherapie können mehr als 80 % der Panik- und Agoraphobiepatienten ihre Angst unter Kontrolle bekommen, zumindest für eine Weile. Laut einer neuen Längs- schnittuntersuchung mit (kognitiv verhaltenstherapeutisch) erfolgreich behandelten Angstpatienten, die sich über 2 bis 14 Jahre erstreckte, blieben am Ende allerdings nur knapp 40 % von ihnen vollkommen angstfrei. Weil Angst oftmals wiederkehrt, wird in diesem Buch besonders großer Wert darauf gelegt, ängstliche Menschen dazu anzure- gen, ihre Angst völlig eigenständig zu bewältigen. Das vorliegende Selbsthilfebuch eignet sich zur Vorbereitung auf eine Verhaltensthe- rapie. Es wurde aber vor allem für diejenigen geschrieben, die keine Therapie in An- spruch nehmen möchten. Zu diesem Buch bewogen hat mich (1) das hohe Vorkommen von Angststörungen in der Bevölkerung und (2) der starke Leidensdruck von Menschen mit panischer und agoraphobischer Angst. Hinter ihrer Angst steht meist die Befürchtung von Ohn- macht, Kontrollverlust, Krankheit oder Tod. Sobald Paniksymptome auftreten ‒ sei es Schwindel, Druck auf der Brust oder Herzrasen ‒ oder sie eine Angstsituation aufsu- chen müssen (Supermarkt, Zug fahren, Kino), befürchten sie das Schlimmste. Dasselbe kann auch passieren, wenn sie sich die Angstsituation oder das Gefühl der Angst nur vorstellen. Dieses Selbsthilfebuch könnte Ihnen helfen, Ihre panischen und phobischen Ängste diagnostisch besser einzuschätzen und vielleicht sogar selbstständig anzugehen. Kapi- tel 2 enthält allgemeine Informationen über das Störungsmodell Angst und Erklärungen für Panik und Agoraphobie. In den Kapiteln 3 und 4 finden Sie praktische kognitive und verhaltenstherapeutische Hilfen zur Selbstbehandlung. Den vielen Angst- und Panikpatienten, die mir von ihren Erfahrungen berichtet haben und den mühsamen Weg des Angstabbaus gegangen sind, möchte ich ebenso danken wie meinen Kollegen, die neugierig, kritisch und ausgiebig über Panik und Agorapho- bie mit mir diskutiert haben. IX Vorwort Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch viele Betroffene und ihre Angehörige er- reicht. Vielleicht lassen sich Ihre Angstzustände damit bewältigen. Ich wünsche Ihnen ein tatkräftiges und mutiges Vorgehen, damit Sie frei werden von der Plage Angst und wieder ein menschenwürdiges Dasein führen können. Sigrun Schmidt-Traub Berlin, im Herbst 2012 XI Die Autorin Dr. Sigrun Schmidt-Traub Diplom-Psychologin und -Soziologin, Verhaltenstherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit über 30-jäh- riger ambulanter Erfahrung in eigener Praxis. Heute in der Ausbildung von angehenden Verhaltenstherapeuten als Do- zentin und Supervisorin tätig. Verfasserin von zahlreichen Selbsthilfe- und Lehrbüchern zum Thema Angststörungen. Salzbrunner Str. 25 14193 Berlin E-Mail: [email protected] XIII Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Zum Verständnis von Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.1 Angst ist lebensnotwendig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.2 Angst ohne wirkliche Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2.1 Was sind Panikattacken, Panikstörung und Agoraphobie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2.2 Weitere Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.2.3 Die drei Ebenen des Angsterlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.4 Der Teufelskreis der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.3 Weitere Bedingungen der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.1 Angeborene Sensibilität für Angst und erworbene Angstbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.2 Gesellschaftlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.3.3 Angeborene und erworbene körperliche Empfindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.3.4 Stress – Ein »psycho-neuro-endokrino-immunologisches« Zusammenspiel . . . . . . . . . . . . . 52 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3 Bewältigung der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.1 Überblick über die Vorgehensweise zur Angstbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.2 Einfluss auf das Angstgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.2.1 Genaue Beobachtung der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.2.2 Vom Bedürfnis nach Erklärung der Angstentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.2.3 Gedankliche Verzerrungen zurechtrücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.2.4 Konfrontation: Selbstständig, graduell mit kleinen Schritten in die Angst hinein . . . . . . . . 71 3.2.5 Konzentrationslenkung: In Panikattacken eingreifen statt passiv bleiben . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.6 Weiterhin Selbsthilfe oder Fremdhilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.3 Einfluss auf die Lebensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.3.1 D en Tag und die Woche vernünftig gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.3.2 G esundheitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.3.3 S tressoren erkennen und beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.3.4 S pannungen in der Beziehung zu Bezugspersonen während der Angstbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.3.5 Persönliche Zukunftsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.4 Vorbeugen gegen Rückfälle und abschließende Bewertung der Angstbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.1 Liste der körperlichen Symptome bei Panik mit Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2 Denkfehler bei Angst und wie Sie sich dagegen schützen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.3 Was Sie noch über Medikamente wissen sollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123