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Andrzej M. Lobaczewski - POLITISCHE PONEROLOGIE PDF

265 Pages·2010·2.23 MB·German
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POLITISCHE PONEROLOGIE Eine Wissenschaft von der Natur des Bösen und seiner Anwendung für politische Zwecke Polnische Originalfassung: Ponerologia polityczna — Nauka o naturze zła w zastosowaniu do zagadnień politycznych von Dr. Andrzej M. Łobaczewski, Rzeszów, 1984. Übersetzung ins Englische von Dr. Alexandra Chciuk-Celt, University of New York, 1985. Englische Fassung überarbeitet vom Autor im Jahr 1998. Bearbeitet und kommentiert von Laura Knight-Jadczyk und Henry See, neu verlegt von Red Pill Press, 2006. Deutsche Übersetzung 2008. Hinweis: Es war geplant, dieses Buch nur solange online zu belassen, bis es fertig auf Deutsch übersetzt worden ist. Nach Rücksprache mit dem Herausgeber und Verleger der englischen Fassung, Red Pill Press, kann es nun doch online bleiben. Alle Rechte vorbehalten. Diese Online- Fassung darf nur im Rahmen von ‚Fair-Use‘ (siehe rechtliche Hinweise weiter unten) verwendet werden. Das erste Manuskript dieses Buches wanderte im kommunistischen Polen ins Feuer, fünf Minuten bevor die Geheimpolizei erschien. Die zweite Kopie — von Wissenschaftern unter widrigsten Bedingungen der Unterdrückung aufs Neue zusammengestellt — wurde via Kurier an den Vatikan gesandt. Doch der Empfang des Manuskripts wurde nie bestätigt, alle wertvollen Inhalte waren verloren. Im Jahr 1984 wurde die dritte Kopie vom letzten überlebenden Wissenschafter, Dr. Andrzej M. Łobaczewski, aus den verbliebenen Aufzeichnungen und aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Zbigniew Brzeziński blockierte die Veröffentlichung dieser Kopie. Nachdem das Buch ein halbes Jahrhundert lang unterdrückt wurde, ist es nun auch auf Deutsch verfügbar. Es ist in seiner klinischen und nüchternen Beschreibung der Natur des Bösen schockierend. In seinen eher literarischen Textstellen ist es aber auch ergreifend, wenn der Autor die immensen Leiden jener Wissenschafter beschreibt, die von der Krankheit, die sie untersuchten, angesteckt oder gar von ihr vernichtet wurden. Politische Ponerologie analysiert Gründer und Unterstützer von politisch unterdrückenden Regierungen. Łobaczewski untersucht Faktoren, die zusammenwirken, wenn Menschen sich gegenseitig unmenschlich behandeln. Moral und Menschlichkeit können den Raubzügen des Bösen nicht lange standhalten. Das einzige Mittel gegen das Böse und seine hinterlistige Vorgehensweise einzelnen Menschen und Gruppen gegenüber ist das Wissen um seine Existenz und seine Natur. POLITISCHE PONEROLOGIE Vorwort des Herausgebers „Strebe danach, wie der Fujiyama zu sein. Habe solch einen weiten und festen Grund, dass das stärkste Erdbeben dich nicht bewegen kann. Sei so groß, dass selbst größte Unterfangen gewöhnlicher Menschen aus deiner luftigen Perspektive unbedeutend erscheinen. Mit einem Geist, so hoch wie der Fujiyama, kannst du alles klar erkennen. Und du kannst alle Kräfte sehen, die beim Entstehen der Dinge am Werk sind; nicht nur jener, die um dich herum geschehen.“ Miyamoto Musashi Es spielt keine Rolle wer Sie sind, wo Sie in ihrem Leben stehen, wie alt Sie sind oder welche Nationalität oder ethnischen Hintergrund sie haben. Sie werden irgendwann in ihrem Leben die Berührung oder den unbarmherzigen Griff der kalten Hand des Bösen zu spüren bekommen. Guten Menschen stoßen schlimme Dinge zu. Das ist eine Tatsache. Was ist das Böse? Historisch betrachtet war dies immer eine theologische Frage. Generationen von theologischen Apologeten1 haben ganze Bibliotheken im Versuch geschrieben, die Existenz eines guten Gottes zu bestätigen, der eine unvollkommene Welt erschuf. Der heilige Augustinus unterschied zwischen zwei Formen des Bösen: Das „moralische Böse“, das vorsätzlich von bösen Menschen begangen wird, die wissen, dass sie Böses tun; das „natürliche Böse“ hingegen sind schlimme Dinge, die einfach geschehen — ein Sturm, eine Flut, ein Vulkanausbruch oder eine schreckliche Seuche. Und dann gibt es das makrosoziale Böse, wie es Andrzej Łobaczewski bezeichnet: Das Böse in großem Maßstab, das über ganze Gesellschaften und Nationen hereinbricht und dies seit undenklichen Zeiten immer wieder getan hat. Die Geschichte der Menschheit ist, wenn sie objektiv betrachtet wird, eine fürchterliche Geschichte. Tod und Zerstörung betrifft alle Menschen, ob reich oder arm, frei oder versklavt, jung oder alt, gut oder böse; und das mit einer Willkür und einer Sorglosigkeit, die — wenn man nur kurz darüber nachdenkt — das Funktionieren eines normalen Menschen beeinträchtigen kann. Immer wieder hat der Mensch zusehen müssen, wie seine Felder verdörren, sein Vieh verendet oder seine Lieben von Krankheit oder menschlicher Grausamkeit gequält oder getötet werden. Sein Lebenswerk kann in einem einzigen Augenblick durch Ereignisse, über die er keine Kontrolle hat, in Nichts aufgelöst werden. Das Studium der Geschichte in all ihren Facetten gewährt eine Sicht auf die Menschheit, die geradezu unerträglich ist: habgierige Beutezüge hungriger Stämme, die in dunkler Vorzeit eroberten und zerstörten; das Eindringen der Barbaren in die zivilisierte Welt im Mittelalter; Blutbäder, die von den Kreuzrittern des katholischen Europa unter den Ungläubigen im Nahen Osten und später sogar unter den „Ungläubigen“ in den eigenen Reihen angerichtet wurden; Terror der offenen Verfolgung der Inquisition, in der Märtyrer die Flammen mit ihrem eigenen Blut erstickten; ein rasender Holocaust als moderner Völkermord; Kriege, Hungersnöte und Seuchen, die die Erde umklamern und die nie furchterregender waren als heute. All dies lässt ein unerträgliches Gefühl der Unentschuldbarkeit entstehen. Mircea Eliade nennt es „Terror der Geschichte“, dem wir hilflos gegenüberstehen. Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass all das mittlerweile der Vergangenheit angehört; die Menschheit ist in eine neue Phase eingetreten; Wissenschaft und Technologie haben uns ans Ende all dieses Leidens geführt. Viele Menschen glauben, dass sich der Mensch und die Gesellschaft entwickeln und dass wir nun das launenhafte Böse in unserer Welt unter Kontrolle haben - oder dass wir es zumindest nach George W. Bush und seinen Neokonservativen mit ihrem endlosen Kampf gegen den Terror haben werden, so in etwa 25 Jahren. Alles was dieser Ansicht entgegenläuft, wird entweder uminterpretiert oder ignoriert. Die Wissenschaft hat uns viele wundervolle Geschenke bereitet: Raumfahrtsprogramme, den Laser, das Fernsehen, Penicillin, Sulfonamide und eine Vielzahl weiterer nützlicher Entdeckungen, die das Leben erträglicher und erfolgreicher machen sollten. Wir können jedoch leicht erkennen, dass dem nicht so ist. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Menschheit nie zuvor so unsicher am Rande zur totalen Zerstörung balancierte. Auf persönlicher Ebene verschlechtert sich unser Leben stetig. Die Luft, die wir atmen und das Wasser, das wir trinken, sind fast schon über unsere Belastbarkeitsgrenze hinaus verschmutzt. Unsere Nahrung ist voll mit Substanzen, die nur sehr wenig zur eigentlichen Ernährung beitragen und in Wirklichkeit unserer Gesundheit abträglich sein können. Stress und Anspannung sind zu einem akzeptierten Teil des Lebens geworden und töten nachweislich mehr Menschen als die Zigaretten, die manche Leute immer noch rauchen, um genau diesen Stress abzubauen. Wir schlucken Unmengen von Medikamenten um aufzuwachen, einzuschlafen, mit dem Job fertig zu werden, unsere Nerven zu beruhigen oder um uns einfach nur wohl zu fühlen. Die Bevölkerung der Erde gibt mehr Geld für Alltagsdrogen aus als für Wohnen, Kleidung, Nahrung, Bildung oder irgendwelche andere Produkte oder Dienstleistungen. Auf sozialer Ebene multiplizieren sich Hass, Neid, Gier und Streit exponentiell. Die Kriminalität wächst schneller als die Bevölkerung. Dies führt gemeinsam mit Kriegen, Aufständen und politischen Säuberungsaktionen dazu, dass mehrere Millionen Menschen auf der ganzen Welt ohne ausreichende Nahrung oder Schutz vor politischer Willkür sind. Dazu kommen Dürre, Hungersnöte, Seuchen und Naturkatastrophen, die jährlich ihren Tribut an Leib und Leben fordern. All dies scheint ebenfalls immer häufiger aufzutreten. Wenn sich der Mensch seiner Geschichte besinnt - so wie sie ist - dann muss ihm klar werden, dass er im eisernen Griff einer Existenz lebt, die sich nicht um sein Leid und seine Schmerzen zu kümmern scheint. Immer wieder fällt die Menschheit in die gleichen Leiden, viele Millionen Mal, seit Jahrtausenden. Die Gesamtheit des menschlichen Leidens ist eine traurige Sache. Ich könnte darüber bis zum Ende der Welt schreiben, Ozeane von Tinte und Wälder von Papier verbrauchen, und doch könnte ich niemals den ganzen Terror zu Papier bringen. Das Ungeheuer willkürlichen Unheils war immer schon unter uns. Denn seitdem menschliche Herzen warmes Blut in ihre zerbrechlichen Körper gepumpt und Menschen mit der unaussprechlichen Süße des Lebens geleuchtet und sich nach allem Guten, Rechten und Liebevollen gesehnt haben, solange hat das höhnische, verfolgende, geifernde und durchtriebene Ungeheuer des unbewussten Bösen seine Lippen in Erwartung des nächsten Festmahls aus Schrecken und Leid geleckt. Seit Anbeginn der Zeit existiert dieses Mysterium menschlichen Erbes, dieses Kainsmal. Und der Schrei war seit jeher derselbe: Meine Strafe ist schlimmer als ich sie ertragen kann! Es wird angenommen, dass der Mensch, als seinen unerträglichen und unfassbaren Zustand der Existenz bemerkte, entsprechende Kosmogonien entwickelte, um all die Gräueltaten, die Verirrungen und die Tragödien der Geschichte rechtfertigen zu können. Der Mensch ist — und das ist Fakt - im Allgemeinen gegenüber kosmischen und geologischen Katastrophen machtlos. Es wird seit langem behauptet, dass ein Durchschnittsbürger absolut nichts gegen Militärschläge, soziale Ungerechtigkeit, persönliches und familiäres Unglück und eine Vielzahl anderer Angriffe auf seine Existenz tun kann. Das kann nun anders werden. Dieses Buch gibt Antworten auf viele Fragen über das Böse in unserer Welt. Es handelt nicht nur vom makrosozialen Bösen, sondern auch vom alltäglichen Bösen, denn beide sind untrennbar miteinander verbunden. Auf lange Sicht führt die Anhäufung von alltäglichem Bösem immer und unvermeidbar zu einem großen systemischen Bösen, das mehr unschuldige Leben zerstört als jedes andere Phänomen auf diesem Planeten. Dieses Buch ist auch ein Überlebensleitfaden. Wie schon gesagt, es kann das wichtigste Buch sein, das Sie jemals gelesen haben. Außer Sie sind ein → Psychopath. Sie fragen sich jetzt vielleicht, was → Psychopathie mit persönlichem oder sozialem Bösen zu tun hat. Nun, sehr viel. Ob Sie es wissen oder nicht, jeder einzelne Tag Ihres Lebens wird von den Auswirkungen der Psychopathie auf unsere Welt berührt. Sie werden sehen, dass wir doch sehr viel gegen das soziale und makrosoziale Böse unternehmen können, selbst wenn wir gegenüber kosmischen oder geologischen Katastrophen hilflos sind. Zuallererst müssen wir jedoch etwas darüber lernen. Die → Psychopathie und ihre Auswirkungen auf unsere Welt können und werden uns zweifellos verletzen, wenn wir darüber nicht Bescheid wissen. In der heutigen Zeit ruft das Wort „Psychopath“ oft ein Bild des kaum beherrschbaren — und doch überraschenderweise kultivierten — und völlig verrückten Serienkillers Dr. Hannibal Lecter aus Das Schweiger der Lämmer hervor. Ich muss zugeben, dass auch ich jedes Mal, als ich dieses Wort hörte, dieses Bild im Kopf hatte; fast immer. Der große Unterschied war, dass ich mir → Psychopathen niemals so kultiviert vorstellen konnte, dass er so leicht als „normal“ durchgehen würde. Aber ich irrte mich und musste daher diese Lektion durch eigene Erfahrungen lernen. Diese Erfahrung war eine der schmerzhaftesten und gleichzeitig eine der aufschlussreichsten Episoden in meinem Leben. Sie hat mir ermöglicht, eine Blockade in meiner Wahrnehmung der mich umgebenden Welt und der Menschen darin zu überwinden. Zum Thema Blockaden in der Wahrnehmung muss ich hinzufügen, dass ich 30 Jahre lang mit dem Studium2 von Psychologie, Geschichte, Kultur, Religionen, Mythen und des sogenannten Paranormalen1 verbrachte. Ich habe weiters viele Jahre lang als Hypnotherapeutin gearbeitet, wodurch ich mir umfangreiches praxisbezogenes Wissen über die Funktionsweise tiefer Ebenen menschlichen Bewusstseins erarbeiten konnte. Ich hatte trotzdem die ganze Zeit über festsitzende Glaubenssätze, die erst durch meine Nachforschungen zum Thema → Psychopathie erschüttert wurden. Ich realisierte, dass ich eine bestimmte Vorstellung über die Menschen hegte, die mir heilig war — und falsch. Ich schrieb eines Tages sogar darüber: …Meine Arbeit hat mir gezeigt, dass die meisten Menschen Gutes tun wollen. Sie wollen Gutes erfahren, Gutes denken und Entscheidungen mit guten Ergebnissen treffen. Und das versuchen sie mit aller Kraft! Wenn die große Mehrheit der Menschen diese innere Sehnsucht verspürt, warum zum Teufel geschieht es dann nicht? Ich gebe zu, ich war naiv. Es gab vieles, das ich damals noch nicht wusste und das ich gelernt habe, seit ich diese Zeilen schrieb. Dennoch war mir sogar damals schon bewusst, dass unser Verstand benutzt werden kann, um uns zu täuschen. Nun, welche Glaubenssätze hatte ich, die mich zu einem Opfer eines → Psychopathen werden ließen? Der Erste und Offensichtlichste war, dass ich tatsächlich glaubte, dass alle Menschen tief im Inneren im Wesentlichen „gut“ sind und dass sie „Gutes tun, Gutes erfahren, Gutes denken und Entscheidungen mit guten Ergebnissen treffen wollen. Und dass sie das mit aller Kraft versuchen…“ Wie es sich herausstellte, war das falsch. Das mussten ich und alle anderen in unserer Forschungsgruppe zu meinem und unserem Leidwesen erfahren. Doch wir lernten auch etwas zu unserer Erbauung. Um zu einem genaueren Verständnis zu gelangen, welche Art Mensch zu solchen Dinge fähig ist, die mir (und mir Nahestehenden) zugefügt wurden und welche Motivation — welcher Antrieb — hinter jenen Verhaltensweisen steht, begannen wir in der psychologischen Literatur nach Hinweisen zu forschen. Um des eigenen Friedens Willen mussten wir verstehen. Wenn es eine psychologische Theorie gibt, die bösartiges und schädigendes Verhalten erklären kann, dann hilft sie dem Opfer solcher Taten, sich nicht bleibend verletzt oder wütend zu fühlen. Und wenn solch eine Theorie helfen kann, mit Worten die Kluft zwischen Menschen zu überbrücken und Missverständnisse abzubauen, dann ist das ebenfalls ein wertvolles Ziel. Aus dieser Perspektive heraus begannen wir mit unserer umfangreichen Arbeit zum Thema Narzissmus, was schließlich zum Studium der → Psychopathie führte. Wir stellten zu Beginn natürlich keine „Diagnosen“ oder urteilten darüber, was uns widerfuhr. Wir begannen mit Beobachtungen und suchten in der Literatur nach Hinweisen, nach Persönlichkeitsprofilen und nach allem was uns helfen konnte, die innere Welt von Menschen zu verstehen, die offenbar völlig verkommen und ganz anders sind, als uns jemals zuvor untergekommen ist. Wir fanden heraus, dass solche Menschen weit verbreitet sind und dass sie, nach jüngsten Forschungsergebnissen, mehr Schaden in der menschlichen Gesellschaft anrichten, als jede andere sogenannte „Geisteskrankheit“. Martha Stout, die umfangreiche Untersuchungen mit Opfern von → Psychopathen durchführte, schreibt: Bitte versuchen Sie, sich vorzustellen, kein Gewissen zu haben. Sie haben nicht die geringste Spur eines Gewissens und keine Gefühle von Schuld oder Reue - ganz egal, was Sie anstellen, plagen Sie keine lästigen Skrupel über das Wohlbefinden von Fremden, Freunden oder gar Verwandten. Stellen Sie sich vor, es gäbe kein lästiges Hadern mit Ihrem Schamgefühl, kein einziges Mal in Ihrem ganzen Leben, unabhängig davon, ob Sie sich egoistisch, faul, rücksichtslos oder unmoralisch verhalten. Und stellen Sie sich darüberhinaus vor, dass der Begriff „Verantwortung“ Ihnen fremd wäre, außer vielleicht als eine Bürde, die andere Menschen offenbar wie gutmütige Trottel blind auf sich nehmen. Und nun erweitern Sie dieses seltsame Gedankenspiel um die Fähigkeit, Ihre so überaus sonderbare psychische Disposition vor anderen Menschen zu verbergen. Da jedermann wie selbstverständlich annimmt, dass das Gewissen eine universelle menschliche Qualität ist, fällt es Ihnen leicht, zu verheimlichen, dass Sie kein Gewissen haben. Kein Schuld- oder Schamgefühl hemmt die Erfüllung Ihrer Wünsche, und Sie werden von niemandem wegen Ihrer Gefühlskälte zur Rede gestellt. Die eisige Flüssigkeit, die in Ihren Adern fließt, ist so fremdartig, so abseits normaler menschlicher Erfahrungen, dass kaum einem Menschen der Verdacht kommt, dass mit Ihnen etwas nicht stimmen könnte. Mit anderen Worten: Sie sind völlig frei von internen Kontrollen und Ihre ungehemmte Freiheit, ohne Skrupel alles das zu tun, was Sie wollen, ist bequemerweise für den Rest der Welt nicht erkennbar. Sie können tun, was Sie wollen — und doch wird Ihr geheimnisvoller Vorteil vor den meisten Ihrer Mitmenschen, die durch ihr Gewissen gelenkt werden, sehr wahrscheinlich verborgen bleiben. Wie werden Sie Ihr Leben führen? Wie werden Sie Ihren gewaltigen, heimlichen Vorteil nutzen, angesichts der korrespondierenden Schwäche der anderen Menschen (dem Gewissen)? Die Antwort wird weitgehend von Ihren Neigungen und Bedürfnissen abhängen, da die Menschen unterschiedlich sind. Selbst die völlig Skrupellosen gleichen sich nicht. Einige Menschen — ob sie nun ein Gewissen haben oder nicht — neigen zur Bequemlichkeit, während andere voller Träume und ungezügeltem Ehrgeiz sind. Manche Menschen sind brillant und begabt, andere sind einfältig, und die meisten liegen irgendwo dazwischen, haben sie nun ein Gewissen oder nicht. Es gibt gewalttätige und friedfertige Menschen, blutrünstige Individuen und andere, die keine solchen Gelüste haben… Falls Sie nicht aufgehalten werden, können Sie buchstäblich alles tun. Wenn Sie zur passenden Zeit geboren werden, Zugang zu einem Familienvermögen haben und besonders begabt dafür sind, den Hass und das Gefühl der Benachteiligung Ihrer Mitmenschen zu schüren, können Sie es erreichen, eine große Zahl argloser Menschen ins Jenseits zu befördern. Mit genug Geld können Sie das aus der Ferne arrangieren, sich in Sicherheit wiegen und zufrieden Ihr Werk betrachten. … Verrückt und beängstigend — und real, bei etwa vier Prozent der Bevölkerung… Magersucht tritt bei etwa 3,4 Prozent der Bevölkerung auf, was als fast epidemisch betrachtet wird, und doch ist dieser Wert niedriger als die Verbreitung der antisozialen Persönlichkeitsstörungen. Die schweren Störungen, die man als Schizophrenie klassifiziert, treten nur bei etwa einem Prozent der Bevölkerung auf — das ist lediglich ein Viertel der Verbreitung der antisozialen Persönlichkeitsstörung. Die Gesundheitsbehörden („Centers for Disease Control and Prevention“) geben an, dass Darmkrebs in den USA bei 40 von 100.000 Personen auftritt, was als „alarmierend hoch“ eingestuft wird — und doch nur ein Hundertstel der Verbreitung der antisozialen Persönlichkeitsstörung ausmacht… Die große Verbreitung der Soziopathie in der menschlichen Gesellschaft hat gravierende Auswirkungen auf uns andere, die wir auch auf diesem Planeten leben müssen, und zwar auch auf jene, die nicht traumatisiert worden sind. Die Individuen, aus denen diese vier Prozent bestehen, plündern unsere Beziehungen, Bankkonten und unser Selbstwertgefühl aus und stören unseren Frieden auf Erden. Und doch wissen die meisten Menschen erstaunlicherweise nichts über diese Persönlichkeitsstörung, und wenn doch, denken sie nur an gewalttätige → Psychopathen, an Mörder, Serienkiller oder Massenmörder, an Individuen, die immer wieder auf spektakuläre Weise das Gesetz gebrochen haben und die, falls sie gefasst werden, durch unsere Strafjustiz eingesperrt oder gar zu Tode gebracht werden. Für gewöhnlich sind wir uns der viel größeren Anzahl nicht-gewalttätiger Soziopathen unter uns nicht bewusst, und normalerweise erkennen wir sie nicht — Menschen, die nicht in eklatanter Weise die Gesetze brechen und vor denen unser Rechtssystem kaum einen Schutz bietet. Die meisten Menschen würden keinen Zusammenhang erkennen zwischen der Planung eines Völkermordes und zum Beispiel dem schamlosen Anschwärzen eines Kollegen bei dessen Chef. Aber der psychologische Zusammenhang existiert nicht nur, er ist beklemmend. Die Verbindung besteht schlicht und ergreifend darin, dass der innere Mechanismus fehlt, der uns — emotional gesprochen — in die Zange nimmt, wann immer wir eine Entscheidung treffen, die wir als unmoralisch, unanständig, verantwortungslos oder egoistisch ansehen. Die meisten von uns werden einen Anflug von Schuld verspüren, wenn wir das letzte Stück Kuchen in der Küche nehmen — ganz zu schweigen von dem, was wir fühlen würden, wenn wir vorsätzlich und systematisch den Plan fassen würden, einen anderen Menschen zu verletzen. Diejenigen, die kein Gewissen haben, sind eine Gruppe für sich, seien sie nun mörderische Tyrannen oder lediglich rücksichtslose Sozialschmarotzer. Das Vorhandensein oder Fehlen des Gewissens ist eine tiefe Kluft, die die Menschheit spaltet, wohl signifikanter als Intelligenz, Rasse oder sogar das Geschlecht. Was einen Soziopathen, der von der Arbeit anderer lebt, von einem unterscheidet, der bei Gelegenheit einen Supermarkt ausraubt oder ein Gangsterboss ist — oder was der Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Rowdy und einem soziopathischen Mörder ausmacht — ist nicht mehr als gesellschaftliches Ansehen, Zielstrebigkeit, Intelligenz, Mordlust oder schlichtweg die passende Gelegenheit. Was alle diese Individuen von uns anderen unterscheidet, ist das gähnende Loch an der Stelle ihrer Seele, wo sich eigentlich die am höchsten entwickelte menschliche Qualität befinden sollte. [Martha Stout — Der Soziopath von nebenan] Leider war das Buch von Dr. Stout damals noch nicht erschienen. Allerdings hatten wir die Bücher von Robert Hare, Hervey Cleckley, Guggenbuhl-Craig und auch anderer Autoren zur Verfügung. Doch die möglicherweise große Anzahl von Psychopathen in unserer Gesellschaft wurde darin von den Autoren nur annähernd thematisiert. Diese → Psychopathen werden niemals beim Brechen von Gesetzen ertappt, sie morden nicht — und wenn doch, werden sie nicht gefasst — und sie schädigen unsäglich das Leben von Familien, Bekannten und Fremden. Die meisten Experten für psychische Krankheiten arbeiteten lange Zeit hindurch unter der Prämisse, dass Psychopathen aus verarmten Verhältnissen stammen und die eine oder andere Art von Missbrauch in ihrer Kindheit erleiden mussten. Sie zu erkennen wäre demnach nicht besonders schwierig, da sie sich mit Sicherheit außerhalb der Gesellschaft aufhielten. Falls sie dennoch eine Rolle in der Gesellschaft einnähmen, würden sie als Fremdkörper wahrgenommen. Diese Vorstellung wurde in letzter Zeit einer gründlichen Neudefinition unterzogen. Wie Łobaczewski aufzeigen wird, besteht bei den Begriffen Psychopathie, Soziopathie und dissoziale (= antisoziale) Persönlichkeitsstörung einige Verwirrung. Robert Hare hebt ebenfalls hervor, dass es viele Psychopathen gibt, die auch asozial (= antisozial bzw. dissozial) sind. Die meisten → Psychopathen würde man jedoch niemals als asozial oder soziopathisch bezeichnen! In anderen Worten — sie können Ärzte, Rechtsanwälte, Richter, Polizisten, Abgeordnete oder Aufsichtsratsvorsitzende von Firmen sein, die Arme berauben und Reichen geben. Ja, sie können sogar Präsidenten werden. In einer wissenschaftlichen Publikation wurde vor Kurzem angedeutet, das → Psychopathie in unserer Gesellschaft weit häufiger anzutreffen ist als bislang angenommen: Psychopathie, wie sie ursprünglich von Cleckley (1941) benannt wurde, ist nicht auf illegale Aktivitäten beschränkt, sondern umfasst vielmehr Persönlichkeitsmerkmale wie Manipulationsgabe, Unaufrichtigkeit, Egozentrik und das Fehlen von Schuldgefühlen — Merkmale, die bei Kriminellen genauso wie bei Ehepartnern, Eltern, Vorgesetzten, Rechtsanwälten, Politikern und Geschäftsführern anzutreffen sind, um nur einige zu nennen (Bursten 1973; Stewart 1991). Unsere eigenen Untersuchungen über die Verbreitung von Psychopathie in einer Universität haben ergeben, dass etwa 5% (oder etwas mehr) als → Psychopathen angesehen werden können, wovon der Großteil männlich ist. (1 von 10 Männern, 1 von 100 Frauen) Psychopathie an sich kann als Tendenz zu Dominanz und Kälte charakterisiert werden. (Wiggins,1995) fasste mehrere frühere Forschungsergebnisse zusammen. Er kam zum Schluss, dass Psychopathen zu Zorn und Ärger neigen und bereit sind, Andere auszunutzen. Sie sind arrogant, manipulativ, zynisch, exhibitionistisch, auf Sinnesempfindungen aus, skrupellos, rachsüchtig und auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Hinsichtlich ihrer sozialen Verhaltensmuster (Foa & Foa 1974) beschreiben sie sich selbst als liebend und standesbewusst und sehen sich als höchst wertvoll und wichtig an; und doch messen sie anderen keine Liebe und keinen Rang bei und betrachten sie als wertlos und unbedeutend. Diese Charakteristik stimmt klar mit dem Kern der → Psychopathie überein, wie sie gemeinhin verstanden wird. Die vorliegende Untersuchung versucht auf einige grundlegende Fragen in jenem Bereich der Psychopathie Antworten zu geben, der kriminalistisch unauffällig bleibt… Dafür kehren wir zu der von (Cleckley 1941) vorgeschlagenen Betonung der → Psychopathie als Persönlichkeitsprofil zurück, das nicht nur unter Kriminellen, sondern auch unter erfolgreichen Mitgliedern der Gesellschaft zu finden ist. Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass: (a) das Ausmaß der Psychopathie an einem idealtypischen → Psychopathen gemessen werden kann, der durch eine Kombination von dominanten und gefühlskalten zwischenmenschlichen Eigenschaften gekennzeichnet ist. (b) → Psychopathie in unserer Gesellschaft vorhanden ist; dies möglicherweise häufiger als angenommen. (c) → Psychopathie offenbar nur geringe Überschneidungen mit anderen Persönlichkeitsstörungen aufweist, abgesehen von dissozialen Persönlichkeitsstörungen… Es ist eindeutig noch viel Arbeit für das Verständnis nötig, welche Faktoren den gesetzestreuen (obwohl vielleicht nicht moralisch korrekten) Psychopathen vom gesetzesbrechenden → Psychopathen unterscheiden. Diese Untersuchung muss sich aus praktischen Gründen zweifellos — anders als in der Vergangenheit üblich — mehr an nichtkriminelle Stichproben halten. [Salekin, Trobst, Krioukova, Construct Validity of → Psychopathy in a Community Sample: A Nomological Net Approach aus dem Journal of Personality Disorders, 15(5), (2001), 425-441] Łobaczewski zeigt auf, dass es verschiedene Typen von Psychopaten gibt. Ein Typ ist der schlimmste von allen: Der essentielle Psychopath. Łobaczewski gibt uns keine „Checkliste“, sondern er durchleuchtet das Innere eines → Psychopathen. Seine Beschreibungen passen sehr genau auf die Merkmale, die in eben zitierter Publikation aufgelistet sind. Martha Stout behandelt auch die Tatsache, dass → Psychopathen, wie jeder andere Mensch auch, mit unterschiedlichen Vorlieben, Abneigungen und Sehnsüchten geboren werden, weshalb manche Ärzte oder Präsidenten werden und andere kleine Dieben oder Vergewaltiger. „Liebenswürdig, charmant, intelligent, aufmerksam, imponierend, vertrauenserweckend und „Frauenschwarm“: So beschreibt Hervey Cleckley in seinem Buch The Mask of Sanity die meisten seiner Testpersonen. Offenbar besitzen Psychopathen trotz ihrer eindeutig „unverantwortlichen“ und „selbstzerstörerischen“ Handlungsweisen jene Charakterzüge im Überfluss, die den meisten normalen Menschen erstrebenswert erscheinen. Diese glatte Selbstsicherheit ist für normale Menschen, die oft Bücher über Selbsthilfe lesen oder einen Therapeuten zuziehen müssen, um in ihrer Umgebung problemlos bestehen zu können, ein nahezu übernatürlicher Magnet. Im Gegensatz dazu hat der → Psychopath niemals Neurosen, keine Selbstzweifel und keine Angst — er ist so, wie „gewöhnliche“ Menschen sein wollen. Darüber hinaus ziehen sie die Damenwelt an, selbst dann, wenn sie unattraktiv sind. Cleckleys wegweisende Hypothese besagt, dass der Psychopath unter einem schwerwiegenden und unheilbaren affektiven Defizit leidet. Wenn er überhaupt etwas fühlt, dann nur Gefühle der oberflächlichsten Art. Er kann aufgrund seiner Launen tun und lassen was immer er will. Denn die Konsequenzen, die jeden normalen Menschen beschämen, die ihm peinlich sind oder die Selbstachtung verlieren lassen, berühren den → Psychopathen einfach nicht. Was für andere eine Katastrophe ist oder Abscheu hervorruft, ist für ihn nur eine vorübergehende Unannehmlichkeit. Cleckley postuliert, dass Psychopathie in unserer Gesellschaft normal und weit verbreitet ist. Seine Fallstudien beinhalten Beispiele von Psychopathie bei Menschen, die ganz normal in der Gesellschaft funktionieren — Ärzte, Geschäftsleute und sogar Psychiater. Heutzutage betrachten

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Und du kannst alle. Kräfte sehen, die beim Entstehen der Dinge am Werk sind; nicht nur jener, die um dich herum geschehen.“ Miyamoto Musashi. Es spielt keine Rolle wer Sie unbezahlbar wertvoll für uns, besonders in der heutigen Zeit, wo offensichtlich eine ähnliche Hölle den Planeten umhüll
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