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Anarchy in the UKR PDF

140 Pages·2006·0.85 MB·German
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edition suhrkamp 2522 »Vergiß die Politik, lies keine Zeitung, geh nicht ins Netz, verweigere deine Stimme« – so beginnt der »Linke Marsch«, ein Kapitel aus Serhij Zhadans zweitem Prosaband, dem ein Song der Sex Pistols, Anarchy In The U.K., als Motto dient. Zhadan ist dabei, sich zur stärksten Stimme der jungen ukrainischen Literatur zu entwickeln – und zum Antipoden von Juri Andruchowytsch. Auch Zhadans Ich-Erzähler ist ständig im Zug oder in bizarren Landschaften unterwegs. Doch es zieht ihn nicht zu den Ruinen der habsburgischen Vergangenheit, sondern in die Industriebrachen des Donbass im Südosten des Landes – an die Orte des von den Sowjets zerschlagenen Anarchokommunismus. Niemand scheint sich an Nestor Machno zu erinnern. Anarchismus, das gab es nie. Bis er im November 2004 in Charkiw, zu Füßen des »Scheiß-Lenin-Denkmals«, wiederaufersteht. Serhij Zhadan, 1974 in Starobilsk geboren, publizierte acht Lyrikbände (darunter Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts (es 2455)) und schreibt neuerdings Prosa. Zuletzt erschien sein Roman Depeche Mode (es 2494). Foto: Susanne Schleyer Serhij Zhadan Anarchy in the UKR Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe Suhrkamp Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel Anarchy in the UKR im Verlag Folio, Charkiw. Die Übersetzung wurde gefördert vom Literarischen Colloquium Berlin mit Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur, Berlin edition suhrkamp 2522 Erste Auflage 2007 © Serhij Zhadan 2005 © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2007 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Jung Crossmedia Publishing, Lahnau Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt Printed in Germany ISBN 978-3-518-12522-9 1 2 3 4 5 6 – 12 11 10 09 08 07 Anarchy in the UKR I am an antichrist I am an anarchist Don't know what I want But I know how to get it I wanna destroy passerby Cause I Wanna be anarchy No dogs body Sex Pistols: Anarchy In The U.K. Teil Eins Wie schwarze Damenunterwäsche 1. Eisenbahnunfälle. Anfang August holte mich Ljoschka in Charkiw ab, und wir haben dann auf dem Bahnhof gleich zwei Fahrkarten für den Nachtzug genommen. Es fing an zu regnen, der Bahnhof war halb leer, der Asphalt auf den Bahnsteigen erwärmte sich den ganzen Tag nicht. Irgendwie haben wir die Zeit bis zum Abend totgeschlagen, die zwölf Stunden in der Stadt rumgebracht, dann offener Schlafwagen dritter Klasse und die tief hängenden Sterne über den Waggons wie Salz auf den Rücken der Fische. Den Zug kannte ich seit meiner Kindheit, mein erster Zug, die erste Eisenbahnerfahrung sozusagen, ich erinnere mich bis heute an die Pritschen, an die sowjetischen Bettlaken, naß wie eingeweichtes Papier, an die verqualmten Tamburen, schwarze, verschneite Felder zogen vorbei, eine Landschaft wie schwarze Damenunterwäsche, es war Vorfrühling, und ich fuhr dieselbe Strecke. Seither ist viel Zeit vergangen, die Schaffner sind alt geworden, mein guter alter »Sumy-Luhansk« zog Abend für Abend an den östlichen Grenzen entlang, manchmal zog ich mit ihm. Wenn es jemanden interessierte, könnte ich eine Menge erzählen über die Morphiumengel aus den Schlafwagenabteilen, die sich an den Bahnübergängen mit den frisch erbeuteten Geldsäckeln und Klunkern aus rotem Zigeunergold aus dem Staub machten, über die Knastis, die sich auf der Heimfahrt einen Schuß setzten und alle Mitreisenden mit gepanschtem polnischen Fusel abfüllten, über die Hilfsschaffner, die sich schon betrunken hatten, bevor wir überhaupt losfuhren, weshalb ich fürs Öffnen der Türen zuständig war, damit die nervösen Mitternachtspassagiere den Ausstieg in ihren namenlosen Bergarbeiterorten nicht verpaßten, kurz, wenn sich jemand für den Alltag und die heldenhafte Arbeit meiner Landsleute interessierte, würde ich natürlich Auskunft geben, aber lassen wir das. So vor zehn Jahren bin ich oft schwarzgefahren, ich mußte nur im Blick haben, wann im Nachbarwagen die Kontrolle kam, die Schaffner kontrollierten natürlich nie gleichzeitig, irgend jemand hinkte immer hinterher, und so brauchte man nur in den Nachbarwaggon zu gehen und dann zurückzukommen. Seitdem hat sich kaum etwas verändert, dasselbe Publikum, dieselben frustrierten Gesichter, derselbe Trott, so weit ich weiß, haben die Eisenbahner den höchsten

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