Ottmar Ette (Hg.) Alexander von Humboldt Handbuch Leben – Werk – Wirkung Ottmar Ette (Hg.) Alexander von Humboldt- Handbuch Leben – Werk – Wirkung Mit 52 Abbildungen J. B. Metzler Verlag Der Herausgeber Ottmar Ette ist Professor für Romanische Literatur- wissenschaft und Komparatistik an der Universität Potsdam, u. a. Honorary Member der Modern Language Association of America (MLA) und Ordentliches Mitglied der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese J. B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil detaillierte bibliografische Daten sind im Internet von Springer Nature über http://dnb.d-nb.de abrufbar. www.metzlerverlag.de [email protected] ISBN 978-3-476-04521-8 ISBN 978-3-476-04522-5 (eBook) Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart (Foto: Frédéric d’Houdetot, Porträt Alexander von Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist Humboldts, 1807, Paris, Bibliothèque du Conseil d’Etat) urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb Satz: Claudia Wild, Konstanz in Kooperation der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist mit primustype Hurler GmbH, Notzingen ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- J. B. Metzler, Stuttgart setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung © Springer-Verlag GmbH Deutschland, und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ein Teil von Springer Nature, 2018 Inhalt Vorwort Ottmar Ette VII 17 V on der Lebenskraft zur Theorie des Lebens Thomas Schmuck 144 18 Geschichtswissenschaft Michael Zeuske 147 I E inführung 19 Sprachwissenschaft Jürgen Trabant 153 1 F aszination AvH Ottmar Ette 2 V W issen II B iographie 20 Politik Walther L. Bernecker 158 21 Diplomatie Ulrich Päßler 166 2 E in Leben in Bewegung Ottmar Ette 10 22 Das Humboldtsche Schreiben Ottmar Ette 169 23 Ästhetik Hartmut Böhme 176 24 Kunst David Blankenstein / III W erke Bénédicte Savoy 183 25 D ie Zeichnungen Alexander von Humboldts in 3 D ie frühen Schriften Ursula Klein 22 den Amerikanischen Reisetagebüchern 4 A nsichten der Natur Laura Dassow Walls 31 Julia Maier 193 5 D as Amerikanische Reisewerk 26 Popularisierung des Wissens Vera M. Kutzinski 40 Andreas W. Daum 200 6 E xamen critique Julian Drews 53 7 D as Russisch-Sibirische Reisewerk Tobias Kraft 59 VI W eggefährten 8 K osmos Petra Werner 73 9 D ie Korrespondenz Ingo Schwarz 80 27 Die Brüder Humboldt Jürgen Trabant 206 10 D ie unselbständigen Schriften 28 Französische Wissenschaftler Ulrike Leitner 91 Marie-Noëlle Bourguet 215 11 D er Nachlass Dominik Erdmann 99 29 Goethe Thomas Schmuck 224 30 Französische Literaten Markus Alexander Lenz 229 IV W issenschaften 31 Carl Ritter Jörg Stadelbauer 236 32 Darwin Ulrich Päßler 247 12 D ie Humboldtsche Wissenschaft Ottmar Ette 106 13 N aturwissenschaften Eberhard Knobloch 113 VII Wirkungen 14 W issenschaftsgeschichte Eberhard Knobloch 127 33 Ausgaben und Übersetzungen 15 B otanik H. Walter Lack 133 Ulrike Leitner 252 16 B iologie Thomas Schmuck 140 34 Lateinamerika Heinz Krumpel 260 VI Inhalt 35 S panien Miguel Ángel Puig-Samper 265 Zeittafel 292 36 B erlin im Spiegel von Humboldts Adressbuch Bibliographie der im Handbuch erwähnten Ingo Schwarz 272 Literatur 300 37 D ie Berliner edition humboldt Tobias Kraft 276 Abbildungsverzeichnis 323 38 H umboldt-Ausstellungen Sandra Rebok 285 Autorinnen und Autoren 325 Personenregister 326 Vorwort Alexander von Humboldt ist seit dem Ausgang des Humboldts. Das Grundaxiom seiner Wissenschaft, 20. Jahrhunderts in den unterschiedlichsten Wissens- der Humboldtschen Wissenschaft, könnte auch der bereichen und Wissenschaftsfeldern, vor allem aber Leitspruch dieses Handbuches sein: »Alles ist Wech- bei einem breiteren Publikum zu einer höchst bedeut- selwirkung«. samen Figur im öffentlichen Diskurs geworden. Wäh- Nach einer Einführung und einem Überblick über rend es in vielen anderen Ländern eine kontinuierliche das lange und ereignisreiche, in Humboldts Diktion Präsenz des großen Natur- und Kulturforschers im all- »vielbewegte Leben« des jüngeren der beiden Hum- gemeinen Bewusstsein gab, bedurfte es im deutsch- boldt-Brüder werden zunächst die Werke Humboldts sprachigen Raum vielfältiger Bemühungen, um die in ihrer beeindruckenden Verschiedenartigkeit vor- verschütteten Traditionslinien seiner Forschungen wie gestellt. Ausgehend von einem breiten Werkbegriff seiner Entwürfe für Wissenschaft und Wirtschaft, Kul- werden hierunter nicht nur seine großen Buchpublika- tur und Konvivenz wieder zur Kenntnis zu nehmen. tionen wie das 34-bändige Amerikanische Reisewerk Entsprechend groß ist heute das Bedürfnis eines weit oder seine Ansichten der Natur verstanden, sondern gefächerten Lesepublikums geworden, in leicht zu- auch seine unselbständigen Schriften, seine so umfang- gänglicher Form wissenschaftlich gesicherte Informa- reiche Korrespondenz oder der erst langsam ins Licht tionen zu den Wegen, Werken und Wirkungen dieses der Forschung gerückte Schatz seines Nachlasses. Über herausragenden Forschers, Gelehrten und Schriftstel- lange Phasen der insbesondere deutschsprachigen lers zu erhalten. Humboldtrezeption standen nicht seine Werke, son- Der vorliegende Band unternimmt den Versuch, dern bestenfalls deren Surrogate und Extrakte im Mit- diesem Informationsbedürfnis Rechnung zu tragen telpunkt der Aufmerksamkeit. So ist es in vielerlei Hin- und das gewaltige, bis heute nicht vollständig ins sicht heute noch immer notwendig, den sogenannten Deutsche übersetzte Œuvre des mehrsprachigen, in »zweiten Entdecker« der Neuen Welt in seinen Schrif- Berlin geborenen Autors zugänglich zu machen. Ent- ten als großartigen Autor selbst erst noch zu entdecken. gegen früherer Darstellungen, die Alexander von Alexander von Humboldts Wissenschaften werden Humboldts Tätigkeiten in verschiedene Disziplinen danach aus unterschiedlichen Blickwinkeln, von der aufteilten und somit die Einheit und Vielfalt des zu- Wissenschaftsgeschichte und den Naturwissenschaf- sammenhängenden Wissenschaftskonzepts des Ver- ten bis hin zu Geschichts- und Sprachwissenschaft be- fassers des Kosmos zerstörten, versucht dieses Hand- leuchtet, wobei im Fokus stets die offene, auf Wechsel- buch, ausgehend von der Einsicht in die transdiszipli- wirkungen beruhende relationale Struktur steht, in näre Ausrichtung der Humboldtschen Wissenschaft welche Humboldt diese Wissenschaften jeweils ein- die Zusammenhänge und Querverbindungen, ja die bezog. Ihm war es nie um die Vorherrschaft einer be- große kombinatorische Leistung dieses Querdenkers stimmten Disziplin zu tun, sondern um die jeweiligen und – wie er sich selbst nannte - »Nomaden zwischen Fähigkeiten, ein der Zeit gemäßes hochspezialisiertes den Wissenschaften« zu rekonstruieren. Es geht im Wissen mit anderen Wissenschaftsbereichen produk- Folgenden also weder um die verspätete Herstellung tiv zu vernetzen. einer monolithischen Einheit seines Denkens noch Im Anschluss werden unter dem Begriff Wissen um eine Zerstreuung und Zerstäubung seiner wissen- zentrale, in bisherigen Darstellungen aber oftmals nur schaftlichen Aktivitäten, welche aus ihm nachträglich kurz gestreifte Tätigkeitsfelder wie Politik und Diplo- einen wissenschaftlichen Dilettanten machen wollte, matie oder Kunst und Ästhetik diskutiert, ohne die sondern um die viellogische Verbindung und Wech- Problematiken einer Popularisierung des Wissens zu selwirkung der unterschiedlichen Betätigungsfelder vergessen. Denn für Alexander von Humboldt war es VIII Vorwort von größter Bedeutung, auch hochspezialisiertes Wis- dankt vielen vieles. In erster Linie bedanke ich mich sen so in Zirkulation zu setzen, dass damit eine in Ent- hier bei allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, wel- stehung begriffene Wissensgesellschaft versorgt wer- che die oft schwierige, aber auch lohnende Aufgabe den konnte. Im Vordergrund standen bei ihm nie be- übernommen haben, die von ihnen gewählten Aspek- stimmte wissenschaftliche Disziplinen, sondern kom- te kompakt zu erschließen und in einer zugänglichen plex miteinander verschlungene Wissensgebiete. Sprache zu präsentieren. Besonders glücklich bin ich Die Humboldtsche Wissenschaft ist als Wissen- über die Tatsache, dass Wissenschaftlerinnen und schaft aus der Bewegung ein hochmobiler und dyna- Wissenschaftler verschiedener Generationen an die- mischer Verbund, innerhalb dessen Reisebewegungen sem Handbuch mitgearbeitet und damit wesentlich und damit zusammenhängenden Perspektivenwech- zur hier versammelten Vielfalt an Perspektiven beige- seln eine eminente Bedeutung zukommt. Die Weg- tragen haben. Dass es gelang, unterschiedliche Gene- gefährten Alexander von Humboldts werfen ein be- rationen für die Mitarbeit zu gewinnen, spricht für ei- zeichnendes Licht nicht allein auf die Wege, sondern ne lebendige und zugleich transgenerationell angeleg- auch die Querverbindungen bei der Entfaltung des te Diskussionskultur innerhalb der Alexander von Humboldtschen Denkens. Dabei werden die intensi- Humboldt gewidmeten Forschung. ven Beziehungen zu seinem Bruder Wilhelm oder zu Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Ingo Schwarz französischen Forschern einschließlich Aimé Bon- (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissen- pland ebenso besprochen wie diejenigen zum großen schaften) für seine kritische Lektüre aller Beiträge, das Geographen Carl Ritter oder zu Charles Darwin, zu Auffinden versteckter Fehler und für die Tatsache, Goethe oder zu den französischen Literaten. Alexan- dass er sein immenses Wissen über Alexander von dre de Humboldt war auch ein französischer Schrift- Humboldt an vielen Stellen in diesen Band einfließen steller, auch ein französischer Wissenschaftler. Dort, ließ. Mein Dank richtet sich ferner an Herrn Dr. Mar- wo die Wirkungen über das in den Wissenschaften Be- kus Alexander Lenz (Universität Potsdam) sowie sprochene weit hinausreichen, werden Untersuchun- Herrn Dr. Tobias Kraft (Berlin-Brandenburgische gen zu seinen Ausgaben und Übersetzungen, zu seiner Akademie der Wissenschaften), die mit ihrem kriti- Präsenz in Lateinamerika oder der Vielzahl ihm ge- schen Geist und vielen Ratschlägen dem Herausgeber widmeter Ausstellungen vorgelegt. Eine übersichtliche mit Rat und Tat zur Seite standen. Herrn Dr. Oliver Zeittafel sowie eine wohlstrukturierte Bibliographie Schütze vom Metzler Verlag bin ich für eine stets kom- der oft verwirrenden Vielfalt seiner Schriften schlie- petente und vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der ßen diesen Band mit seinen Registern ab. Gestaltung dieses Handbuches, zu dem er die Anre- gung gab, zu großem Dank verpflichtet. Ein derartiges Handbuch, das nie als eine abgeschlos- sene Einheit, sondern als offene Strukturierung und Potsdam, im Frühjahr 2018 zugleich als ein work in progress zu verstehen ist, ver- Ottmar Ette I E inführung 1 Faszination AvH europäischen Aufklärung und der Französischen Re- volution, deren brodelnde Hauptstadt er mit Georg 1.1 Eine glückliche Revolution Forster besuchte und deren Idealen er sich ein Leben lang verpflichtet wusste? Oder der Mann des 19. Jahr- Alexander von Humboldt ist ein Faszinosum. Im Ver- hunderts, der in Paris zu einem französischen Wissen- lauf seines langen Lebens (1769–1859) hat er als Wis- schaftler wurde und in Berlin als Wissenschaftsorga- senschaftler nicht allein zwei Einzeldisziplinen mitbe- nisator die Weichenstellungen für den Aufstieg der gründet, die Altamerikanistik und die moderne Geo- Wissenschaften im deutschsprachigen Raum beför- graphie, sondern eine ganze Wissenschaft: die Hum- derte? (s. Kap. 3; 18; 28). Ist er Preuße oder Franzose, boldtsche Wissenschaft (s. Kap. 12; 31). Als Natur- und überzeugter Europäer oder auf die Zukunft der Neuen Kulturforscher erkundete er weite Teile Europas, vom Welt setzender Amerikaner, der sich in Mexiko nie- nordwestlichen Spanien bis ins Baltikum, von Südita- derlassen und von dort aus dazu beitragen wollte, eine lien bis nach Russland, aber auch riesige Gebiete der neue, kosmopolitische Weltordnung herbeizuführen? Amerikas zwischen Havanna und Lima, zwischen Me- Ist er Aufklärer oder Romantiker, Revolutionär in den xiko und Washington, sowie Zentral-Asiens bis zur Wissenschaften oder Moderator in der Politik, ja ist er Grenze des Russischen Reiches mit China (s. Kap. 5; 7; – wie bisweilen behauptet wurde – ein Unentschlos- 13; 15; 35). Als Schriftsteller schuf er ein gewaltiges sener, der sich nicht zwischen Frankreich und Preu- Œuvre, das die (je nach Zählweise) 30 oder 34 Bände ßen, Deutsch und Französisch, Natur- und Kulturwis- seiner Amerikanischen Reise ebenso einschließt wie senschaft, Europa und Amerika entscheiden konnte? seine Ansichten der Natur, sein Werk über Zentral-Asi- Wusste er nicht, was er wollte? en ebenso wie seinen Kosmos, der ihn mit der Summa seines Wissens zum Bestseller-Autor machte (s. Kap. 4; 5; 8; 30; 34). Überzeugt davon, dass die Welt sich aus der Perspektive einer einzigen Sprache nicht adäquat verstehen lasse, schrieb er in französischer wie in deut- scher Sprache, griff in seinen Werken aber auch auf ein Dutzend weiterer Idiome zurück, wenn die jeweilige Thematik es erforderte (s. Kap. 6; 19, 21; 24; 25). Dazu entwickelte er experimentelle Schreibformen, die er in vielen seiner Manuskripte erprobte und in nicht weni- gen seiner Buchveröffentlichungen seinem großen in- ternationalen Publikum vorlegte (s. Kap. 4; 22; 23; 26; 38). In Politik und Diplomatie war er über lange Jahr- zehnte und nicht zuletzt aufgrund seines ungeheuren Netzwerkes an Freunden und Korrespondenten ein vielgefragter Ratgeber und zugleich ein effizienter Ak- teur (s. Kap. 9; 20; 21; 36). Wer auch immer gerade preußischer Gesandter in Paris war: Humboldt galt zu- meist als geschickter. Der Reaktion verhasst, spielte er auf verschiedensten Klaviaturen gleichzeitig. Wer eigentlich ist dieser Alexander von Hum- boldt? Ist es der unermüdliche Forscher, der die Welt und ihre Bewohner befragte und erkundete, oder der Kammerherr am preußischen Königshof, der enge, ja freundschaftliche Beziehungen zu seinen Königen Abb. 1.1 Alexander von Humboldt, Porträt von Frédéric pflegte? Ist er der Mann des 18. Jahrhunderts, der d’Houdetot, 1807. Bibliothèque du Conseil d’Etat, Paris J. B. Metzler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature, 2018 O. Ette (Hg.), Alexander von Humboldt-Handbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04522-5_1
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