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Albert Einstein und Philipp Lenard: Antipoden im Spannungsfeld von Physik und Zeitgeschichte PDF

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EinfLihrung Lenard contra Einstein Der erbitterte Kampf des Heidelberger Physikers Philipp Lenard (1862-1947) ge gen die Relativitatstheorie Einsteins und auch gegen die Person Albert Einsteins wird in wissenschaftshistorischen Veraffentlichungen und Einstein-Biographien after angesprochen. Durch die Verflechtung wissenschaftlicher Kontroversen sowohl mit persanlichen wie auch mit politis chen Angriffen nahmen diese Aus einandersetzungen Formen an, die weit tiber den tiblichen Rahmen wissen schaftlicher Auseinandersetzungen hinausgingen: sie wurden ein Thema in Zei tungen, Radio und Offentlichen Veranstaltungen. Dieser - unter den Augen der Offentlichkeit - ausgetragene Teil des Streites begann im Sommer 1920, erreichte seinen Hahepunkt in dem Rededuell zwischen Lenard und Einstein auf der Ta gung der "Deutschen Naturforscher und Arzte" im September 1920 in Bad Nau heim und fand seinen AbschluB in dem bertihmten Artikel Lenards im "V61ki schen Beobachter" yom 13. 5. 1933, in dem Lenard mit groBer Genugtuung fest stellte, "dass der Relativitatsjude, dessen mathematisch zusammengestoppelte Theorie (. .. ) nun schon allmahlich in Stucke zerfallt", I Deutschland verlassen hat. Die Vorgeschichte dieses Kampfes ist wenig bekannt.2 Davon solI hier die Re de sein, und es sollen die bisher bekannten Darstellungen der Auseinanderset zungen urn neue Aspekte erganzt werden. Ziel dabei ist es, in dieser Untersu chung tiber das Verhaltnis von Einstein und Lenard nicht nur die unterschiedli chen fachlichen Grundauffassungen und die gegensatzlichen zeitgeschichtlichen Standpunkte der beiden Forscher deutlich zu machen, sondern auch die so un terschiedlichen Wesensztige der beiden Persanlichkeiten zu skizzieren. Erste indirekte Verbindung 1897/98 Einen ersten Hinweis, daB Einstein der Name Lenard und die physikalischen Forschungen in Heidelberg bekannt waren, gibt es schon sehr friih. Am 20. Ok tober 1897 bekam Einstein einen Brief aus Heidelberg, in dem es - in einem et was ungelenkem Deutsch heiBt: I "Viilkischer Beobachter" yom 13.5.1933. 2 Erste Darstellung in: Kleinert, Andreas/Schiinbeck, Charlotte: Lenard und Einstein. Ihr Briefwechsel und ihr Verhaltnis vor der Nauheimer Diskussion von 1920. In: Gesnerus 35 (1978), S. 318-333. C. Schönbeck, Albert Einstein und Philipp Lenard © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2000 2 Charlotte Schonbeck ,,( ... ) lch wandIe jetzt, wie Sie schon erfahren haben unter deutschen Eichen im liebli chen Neckartale, das jetzt leider schlegeldicken Nebels schamhaft seine Reize verhiil len, und ich kann mir meine Augen rausgucken ich sehe doch nur ein gewisses Etwas, o ode und grau wie die Unendlichkeit.{ ... ) 0 das war zu nett gestern in der Vorlesung von Prof. Lenard, er spricht jetzt tiber die Kinetische Warmetheorie der Gase,3 da stellte es sich so heran die Molektile des 0 mit einer Geschwindigkeit von tiber 400 m in einer Sekunde bewegen, dann rechnete der gute Professor und rechnete, stellte Gl[eichungenl auf, differen[zierte], integrierte, setzte ein und endlich kam heraus dass die Molektile sich zwar mit dieser Geschwindigkeit bewegen aber dass sie nur einen Weg von 11100 von einer Haaresbreite zurticklegen.,,4 Diese Zeilen schrieb Einsteins Studienkollegin, Freundin und spatere erste Frau Mileva Maric. Albert Einstein (1879-1955) war damals 18 Jahre alt (Abb. 1), er war Student im dritten Semester am Polytechnikum in Zurich und hatte den Kurs fUr Fach lehrer in Mathematik und Naturwissenschaften belegt. Die Vorlesungen seiner StudienHicher interessierten ihn wenig, er vertiefte sich lieber in die Originallite ratur der Naturwissenschaften und der Philosophie. Das tat er oft gemeinsam mit Abb. 1. Albert Einstein 1898 als Student am Polytechnikum in ZUrich (Bibliothek der Eidgenossischen Technischen Hochschule ZUrich) 3 Philipp Lenard war von 1896 bis 1898 aul3erordentlicher Professor fi.ir Theoretische Physik an der Un iversitat Heidelberg. Seine viersttindige V orlesung im WS 1897/98 trug den Titel "Theoretische Physik" (Warmetheorie, Elektrodynamik). 4 The collected papers of Albert Einstein. Vol. 5. Princeton 1993, Dok. 36, S. 58, 59. Albert Einstein und Philipp Lenard 3 seiner Studienkollegin Mileva Maric. Zurich war damals fUr Frauen ein begehrter Studienort. In Deutschland war zu diesem Zeitpunkt das Frauenstudium noch nicht in voller Allgemeinheit erlaubt. Fur das WS 1897/98 schrieb sich Mileva an der Heidelberger UniversWit als Gasthorerin ein. Es ist nicht bekannt, ob das auf den Wunsch der Eltern geschah, urn in dem immer enger werdenden Verhaltnis ihrer Tochter zu dem Studenten Einstein fUr eine raumliche Distanz zu sorgen oder ob sich Einstein und Mileva eine solche raumliche Trennung selbst auferlegt hatten. Dem Studenten Einstein war damals auf jeden Fall der Name des Physi kers Philipp Lenard bekannt. Der 34jahrige Philipp Lenard (Abb. 2) war in dies em Winter 1897/98 Extra ordinarius fUr Theoretische Physik. Dies war nur eine kurze Episode vor seiner Berufung 1898 als Ordinarius fUr Physik in Kiel. Er war bereits ein in ganz Europa anerkannter Experimentalphysiker. Seine bahnbrechenden Arbeiten uber Katho denstrahlen, uber die Entdeckung des Lenard-Fensters, die genialen Arbeiten aus dem Bereich der Phosphore und der Wasserfallelektrizitat hatte er schon verof fentlicht. Seine experimentellen Untersuchungen waren Wegbereiter gewesen sowohl bei der Entdeckung der Rontgenstrahlen wie auch bei der des Elektrons. Abb.2. Philipp Lenard urn 1900 als Professor der Physik an cler Kieler Universitat (Schleswig-Holsteinische Lanclesbibliothek Kiel) 4 Charlotte Schon beck Erster direkter Kontakt 1905 Ais 1905 die drei Arbeiten Einsteins in den "Annalen der Physik" erschienen, die seinen Weltruhm begrtinden soUten, kannte ihn in der wissenschaftlichen Welt niemand. Auch fUr Lenard, seit sieben Jahren Ordinarius und Institutsdirektor an der Kieler Universitat, war der technische Experte 3. Klasse am Amt fUr geisti ges Eigentum in Bern damals sicher ein Unbekannter. Einstein dagegen war mit den Arbeiten des 17 Jahre Alteren durchaus vertraut: In dem Artikel "Uber einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Ge sichtspunkt"S (Die Deutung des Fotoeffektes mit Hilfe der Lichtquantenhypothe se), erwahnt er mehrfach Lenards Untersuchungen aus den Jahren 1902 und 1903: "Die tibliche Auffassung, daG die Energie des Lichtes kontinuierlich tiber den durch strahlten Raum verteilt sei, findet bei dem Versuch, die lichtelektrischen Erscheinun gen zu erklaren, besonders groGe Schwierigkeiten, welche in einer bahnbrechenden Arbeit von Herrn Lenard6 dargelegt sind."7 und er schrieb tiber die von ihm geforderte Proportionalitat von Elektronenener gie und Frequenz des einfaUenden Lichtes: "Mit den von Hrn. Lenard beobach teten Eigenschaften der lichtelektrischen Wirkung steht unsere Auffassung, so weit ich sehe, nieht im Widerspruch."s Wir wissen nicht, ob Lenard von Einstein ein Exemplar dieser Arbeit zuge schickt bekommen hat oder ob er bei Durchsicht der "Annalen der Physik" da rauf gesto6en ist. Jedenfalls schickte er ihm kurz darauf eine seiner neueren Ar beiten zu. Einstein bedankte sich daftir in folgendem Brief aus Bern vom 16. No vember 1906: "Hoch verehrter Herr Professor! Ich danke Ihnen herzlich fUr die mir zugesandte Ar beit, die ich mit demselben GefUhl der Bewunderung studierte wie Ihre frtiheren Ar beiten. Bei dieser Gelegenheit mochte ich mir noch eine kurze sachliche Bemerkung erlauben (. .. ).,,9 Bei der Arbeit, fUr die sich Einstein bedankt, handelt es sich offenbar urn Lenards VerOffentlichung "Uber Lichtemission der Alkalidampfe und Salze, und tiber die Zen tren dieser Emissionen", erschienen im gleichen Band wie Ein 10 steins Arbeit. Die erwahnte Bemerkung kntipft namlich an die Deutung der Ver suche an, die in dieser Arbeit Lenards behandelt werden. Ein grundlegendes Anliegen der Physik in dieser Zeit war die Frage nach dem Aufbau des Atoms. Die eingehende Untersuchung von Spektren soUte die Ent stehung der SpektraUinien und die ihr zugrunde liegenden Mechanismen kla- S Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 17 (1905), S. 132-148. 6 Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 8 (1902), S. 169 u. 170. 7S iehe Anmerkung 5, S. 145. S Siehe Anmerkung 5, S. 147. 9Vollstandiger Wortlaut des Briefes vergl. Anmerkung 2, S. 319. 10 Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 17 (1905), S. 197-247. Albert Einstein und Philipp Lenard 5 ren.11 Lenard hatte schon 1903 vermutet daB ein Atom nicht gleichzeitig alle Lini en emittieren kann, sondern, "daB jedes Metallatom (. .. ) eine Reihe verschiede ner Zustande annehme, deren mindestens so viele sind, als ein Spektrum Serien enthalt".12 In seiner Arbeit von 1905 erweiterte er nun diese Vorstellung durch die zusatzliche Annahme, daB die Ursachen fur die Hauptserien die verschiede nen Zustande der elektrisch neutralen Atome seien, wahrend die Nebenserien durch ein- oder mehrfach ionisierte Atome entstehen sollten. Genau an diese Vermutung knupft Einstein in seinem Brief an, wenn er in dem weiteren Text vorschlagt, daB nicht nur jede Serien, sondern jede Linie des Spektrums durch einen besonderen Zustand des Atoms entsteht. Eine befriedigende Erklarung der Entstehung der Spektrallinien und brauchbare Atommodelle wurden erst durch die Quantenmechanik mehr als 20 Jahre spater moglich. Lenard bekam 1905 den Nobelpreis fUr seine Untersuchungen uber Kathoden strahlen, er stand auf der Hohe seiner kreativen, wissenschaftlichen Schaffens kraft. - Einstein dagegen begann seine berufliche Laufbahn erst, er bekleidete seine erste Stellung am Patentamt in Bern. Zweiter indirekter Kontakt 1909-1911 Seit 1909 gab es eine indirekte Verbindung zwischen Lenard und Einstein durch den jungen Physiker und Mathematiker Johann Jakob Laub (1882-1962). Er stammte aus Galizien und hatte 1906 bei Wilhelm Wien in Wurzburg mit einer Arbeit "Uber sekundare Kathodenstrahlen" promoviert. Seine Dissertation hatte er mit Thesen uber die spezielle Relativitatstheorie verteidigt. Dies war - nach der Darlegungen von Max Planck in seinem physikalischen Seminar in Berlin im Wintersemester 1905/06 - eine der ersten offentlichen Darstellungen der jungen Theorie. Laub befaBte sich intensiv mit den Einsteinschen Uberlegungen und bat Einstein, ihn in Bern besuchen zu durfen. Von April bis Mai 1908 war er in Bern. Dabei entstanden drei gemeinsame Arbeiten von Einstein und Laub uber The men der Relativitatstheorie.13 Laub war Einsteins erster Mitarbeiter. 11 Vgl. Heilbron, John L.: A history of the problem of atomic structure from the discovery of the electron to the beginning of quantum mechanics. Diss. Berkley 1964. Hier S.176ff. 12 Lenard, Philipp: Dber den elektrischen Bogen und die Spektren der Metalle. In. Anna len d. Physik, 4. Folge, Bd. 11 (1903), S. 636-65, hier S. 649. 13 Einstein, Albert/Laub, Jakob: Dber die elektrischen Grundgleichungen bewegter Kor per. In: Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 26 (1908), S. 532-540; Einstein, Albert/Laub, Jakob: Dber die im elektromagnetischen Felde auf ruhende Karper ausgetibten ponde romotorischen Krafte. In: Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 26 (1908), S. 541-550; Ein stein, Albert/Laub, Jakob: Bemerkungen zu un serer Arbeit "Dber die im elektromagne tischen Felde auf ruhende Karper ausgetibten ponderomotorischen Krafte (Nachtrag)". In: Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 28 (1909), S. 445-447. 6 Charlotte Schonbeck Abb. 3. Johann Jakob Laub wohnte wahrend seiner Assistentenzeit am Physikalischen Institut in der Handschuhsheimer LandstraBe Nr. 10 (Foto: Schonbeck) Abb. 4. Philipp Lenard 109 Anfang des Jahrhunderts in die Neuenheimer LandstraBe Nr. 2 (Foto: Schonbeck) Albert Einstein und Philipp Lenard 7 t •• • 1'\ ........ ' It- Abb. Sa. Das Physikalische lnstitut befand sich bis 1912 im Friedrichsbau. Ansicht von Stidwesten 1914 (In: Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universitat Heidelberg 1386-1986. Bd. VI: Die Gebaude der Universitat Heidelberg. Hrsg. Peter Anselm Riedl. Heidelberg 1985. Abb. 301 - Quellennachweis: Universitatsbibliothek SH IV, 831+2) Abb. 5b. Entwurf des neuen Physikalischen Instituts in einer Zeichnung von F. Ostendorf aus dem Jahr 1900. Ansicht von Nordwesten. (In: Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universitat Heidelberg 1386-1986. Bd. VI: Die Gebaude der Universitat Heidelberg. Hrsg. Peter Anselm Riedl. Heidelberg 1985. Abb. 417 - Quellennachweis: Stadtarchiv Heidelberg) 8 Charlotte Schonbeck Abb. 5c. Das neue Physikalische Institut der Heidelberger Universitat gehorte bei seiner Fertigstellung 1912 zu den grogten und modernsten in Deutschland,. Ansicht von Slid westen 1999 (Foto: Schonbeck) 1908 wurde Laub Assistent von Philipp Lenard in Heidelberg, der 1907 die Nachfolge von Quincke14 angetreten hatte. Laub wohnte in der Handschuhsheimer LandstraBe 10 (Abb. 3), Lenard zag in dieser Zeit in die Neuenheimer LandstraBe 2 (Abb. 4), das Physikalische Institut (Abb. 5) war noch im Friedrichsbau unterge bracht. Dies war der Schau platz eines Sttickchens Heidelberger Physikgeschichte, ein Schaup latz aus der frtihen Geschichte der speziellen Relativitatstheorie. In Briefen berichtete Laub seinem Freund Einstein tiber Lenard und seine Ar beit in Heidelberg: Er war zunachst sehr froh, bei Lenard in Heidelberg zu sein und schrieb am 16. Mai 1909 an Einstein: "Lieber Freund! Was Lenard betrifft, ist er ja liberall als Satrap bekannt, der die Assi stenten schlecht behandelt. Nach meiner Meinung verdienen es die Leute, denn warum fallen sie liberal! auf den Bauch. Ich kann ihnen nur sagen, dass Lenard mir gegenliber einen ganz anderen Ton anschlagt, und dass ich die vollste Freiheit habe". Laub berichtete auch tiber Mitarbeiter im Institut und erwahnte: 14 Georg Hermann Quincke (1834-1924) war ab 1875 o. Professor flir Physik an der Hei delberger Universitat und Direktor des Physikalischen Institutes. Albert Einstein und Philipp Lenard 9 "Ausserst nett und bescheiden ist Prof. Pockels.1S Wir haben (ohne Lenard) ein Privat kolloquium in Pockels Wohnung, wo jetzt die Relativitatstheorie besprochen wird. Nachstens soll die Lichtquantentheorie heran (. .. ) Ich rechne mit Sicherheit auf Ihren Besuch. Es ist ja nicht so weit bis Heidelberg." 16 Am 17. Mai 1909 schrieb Einstein an Laub - er hatte offensichtlich Laubs Schrei ben noch nicht erhalten: "Lieber Herr Laub! Zuerst meine herzlichste Gratulation wegen der Assistentur und des damit verbundenen Einkommens. Ich hatte mein groBes Vergntigen an dieser Nachricht. Aber ich glaube, dass die Gelegenheit, mit Lenard zusammen zu arbeiten, noch weit mehr ist als Assistentur und Einkommen zusammen! Ertragen Sie Lenards Schrullen, so vie! er nur haben mag. Er ist ein groBer Meister, ein origineller Kopfl Vielleicht ist er ganz umganglich einem Mann gegentiber, den er zu achten ge!ernt hat." 17 Auch in seinem Briefvom 16. Marz 1910 fand er anerkennende Worte fUr Lenard: "Und doch mtissen Sie sich glticklich preisen, dass Sie bei Lenard sind, zumal Sie ja - wie es scheint - ihn mit groBem Geschick zu behandeln verstehen. Er ist nicht nur ein geschickter Meister in seiner Zunft, sondern wirklich ein Genie." 18 In Briefen an Carl Seelig hat Laub spater berichtet, daB auch Lenard Einstein in dieser Zeit auBerordentlich geschatzt hat, besonders wegen seiner Arbeiten tiber den lichtelektrischen Effekt.19 Auch gegeniiber der speziellen Relativitatstheorie, mit der sich sein Assistent Laub eingehend beschaftigte, hatte Lenard keinerlei Vorurteile. So reichte er im Juni 1909 bei der Heidelberger Akademie der Wis senschaften - die Akademie war gerade gegriindet worden, und Lenard war Griindungsmitglied - eine Arbeit von Laub ein, die relativistische Rechnungen enthielt,20 und 1910 verOffentlichte Laub - mit Einverstandnis und Zustimmung Lenards - einen Bericht "Dber die experimentellen Grundlagen des Relativi tatsprinzips" .21 In dieser Arbeit findet sich eine vollstandige Liste von Einsteins Arbeiten. Da keine Arbeit aus dem Physikalischen Institut vertiffentlicht werden durfte, ohne daB sie von Lenard "controlliert und nachiiberlegt" worden war, so wissen wir, daB Lenard aile VerOffentlichungen Einsteins kannte. 15 Friedrich Pockels (l865-1913) war zu dieser Zeit a.o. Professor fUr theoretische Physik in Heidelberg. Er freundete sich mit dem jungen Laub an. Das Verhaltnis zwischen dem Experimentalphysiker und Institutsdirektor Lenard und dem Theoretischen Phy siker und Extraordinarius gestaltete sich im Laufe der Jahre immer schwieriger. Die Theoretische Physik genoB zu dieser Zeit noch nicht das gleiche Ansehen in Deutsch land wie die Experimentalphysik. 16 The collected papers of Albert Einstein. Vol. 5, Princeton 1993, Dok. 159, S. 184-187. 17 The collected papers of Albert Einstein. Vol. 5, Princeton 1993, Ook. 160, S. 187/188. 18 The collected papers of Albert Einstein. Vol .5, Princeton 1993, Ook. 163. 19 Briefvon Jakob Laub an Carl Seelig vom 10.9. 1959.{ETH-Bibliothek Ztirich). 20 Laub, Jakob: Zur Theorie Cler longitudinalen magnetooptischen Effekte in leuchtenden Gasen und Oampfen. In: Sitzungsberichte d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften, Math-nat. Klasse, 1 (1909/10) 6. Abhandlung. 21 Stark, Johannes (Hrsg.): Jahrbuch fUr Radioaktivitat und Elektronik 7 (l910), S. 405-420. 10 Charlotte Schonbeck Erst nach 4 Jahren, irn Juni 1909 antwortete Lenard auf Einsteins Brief von 1905: "Hochverehrter Herr College! Lassen Sie mich Ihnen danken fUr die freundlichen Zei len anHisslich meiner ietzten Zusendung. Was kann mich auch mehr freuen, als wenn ein tiefer, umfassender Denker einigen Gefallen an meiner Arbeit findet. Bei dieser Gelegenheit muss ich Ihnen auch sagen, dass Ihr wertes Schreiben v. 16. Nov. 1905 seit damals immer auf meinem Schreibtisch liegt, erst in Kiel, jetzt hier, und dass ich mir immer mehr Gedanken mache tiber un sere verschiedenen Auffassungen tiber die elek trischen Geschwindigkeiten und was damit zusammenhangt. Ich glaube namlich, wir haben beide in gewissem Sinne recht; aber zufrieden werde ich erst sein, wenn ich sehe, wie die umfassenden, wunderbaren, von Ihnen gefundenen Beziehungen zu all em Db rigen, was ich mir vorstelle in ein Ganzes passen. Die Phosphore und deren Vorgange geben mir fortwahrend in der letzten Zeit besonderen AnlaG, an derlei zu denken. Bin ich fertig damit, so lasse ich es Sie wissen - eher konnte Ihr so wertes Schreiben also keinen Widerhall finden. Also nicht aus Mangel war es, wie Sie sehen, dass ich immer nicht schrieb. Mit vorztiglicher Hochachtung, Ihr ergebener P. Lenard Vielleicht verschafft die gross ere Nahe Ihres Wohnortes ktinftig mir das Vergntigen, Sie einmal hier zu sehen."22 Mit "den verschiedenen Auffassungen tiber die lichtelektrischen Geschwindig keiten", die Lenard hier erwahnt, sind folgende unterschiedliche Interpretationen gerneint. Einstein war Vertreter der sogenannten Lichtquantenhypothese, d.h. der Ansicht, daB ein Lichtquant jeweils ein Elektron aus16st. Die Energie hangt in dies em Faile von der Quantenenergie des Lichtes ab, sie ist also der Frequenz proportional ( E = hv ). Lenard war dagegen der Uberzeugung, daB es sich beirn lichtelektrischen Effekt urn ein Resonanzphanornen handelt, fUr deren Deutung nur "die Annahrne cornplicirter Bewegungsbedingungen der inneren Teile des Korpers" tibrigbleibe und er verrnutete, "daB die Anfangsgeschwindigkeiten der ausgestrahlten Quanten tiberhaupt nicht der Lichtenergie entstarnrnen, sondern innerhalb der Atorne schon vor der Belichtung vorhandenen heftigen Bewegun gen, sodass die Resonanzbewegungen nur eine aus16sende Rolle spielen".23 Schon bei dies em ersten Aufeinandertreffen unterschiedlicher fachlicher Stand punkte zwischen Einstein und Lenard zeigt sich ein Gegensatz irn physikalischen Denken, der bei den folgenden Kontroversen urn die RelativWitstheorie irnrner deutlicher wurde: Bei der Deutung neuer Phanornene, die sich klassisch nicht rnehr ohne weiteres verstehen lieBen, war Einstein viel eher bereit, traditionelle Vorstellungen aufzugeben, wenn dadurch eine einfachere Erklarung rnoglich wurde, wahrend Lenard rnehr dazu neigte, kornplizierte, noch unerforschte, aber prinzipiell klassisch verstehbare Zusarnrnenhange zu verrnuten. Er war so von der Gtiltigkeit klassischer Vorstellungen tiberzeugt, daB er versuchte, diese eher irnrner weiter zu erganzen, zu variieren und ihre Giiltigkeitsgrenze bis zurn Au Bersten auszudehnen, als sich zurn Aufgeben eines klassischen Grundsatzes zu en tschlieBen. 22 Vgl. Anmerkung 2, S. 320/321. 23 Lenard, Philipp: Dber die lichtelektrische Wirkung. In: Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 8 (1902), S. 149-198. Hier S. 170.

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