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100 Tage Schonfrist: Bundespolitik und Landtagswahlen im Schatten der Großen Koalition PDF

290 Pages·2008·1.495 MB·German
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Jens Tenscher · Helge Batt (Hrsg.) 100 Tage Schonfrist Jens Tenscher · Helge Batt (Hrsg.) 100 Tage Schonfrist Bundespolitik und Landtagswahlen im Schatten der Großen Koalition Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . 1.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Katrin Emmerich / Marianne Schultheis Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15197-7 Inhalt Helge Batt & Jens Tenscher 100 Tage Schonfrist nach der Bundestagswahl 2005? Mythos und Zwischenbilanz.....................................................................................7 Nach der Bundestagswahl: Regierung, Medien, öffentliche Meinung Heiner Geißler Zur Schonung gezwungen? Politischer Attentismus nach der Bundestagswahl 2005........................................23 Uwe Jun Auf dem Weg zur Großen Koalition: Regierungsbildung in Deutschland 2005................................................................27 Bernhard Kornelius & Dieter Roth Regierungswechsel = Stimmungswechsel? Pragmatischer Realismus nach der Bundestagswahl..............................................55 Frank Brettschneider & Markus Rettich „100 Tage Medien-Schonfrist“? Regierungen in der Medienberichterstattung nach Bundestagswahlen..................73 Landtagswahlen in Zeiten der Großen Koalition Richard Hilmer Landtagswahlen 2006 im Zeichen der Großen Koalition: Eine vergleichende Betrachtung.............................................................................93 Jens Tenscher Große Koalition – kleine Wahlkämpfe? Die Parteienkampagnen zu den Landtagswahlen 2006 im Vergleich...................107 6 Inhalt Bernd Schlipphak & Ulrich Eith Die baden-württembergische Landtagswahl 2006 im Einflussfeld der Bundespolitik: Auswirkungen und Rückwirkungen.....................................................................139 Sigrid Koch-Baumgarten Die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2006 und ihre bundespolitische Bedeutung.................................................................................155 Klaus Detterbeck Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2006: Der landespolitische Parteienwettbewerb und der (ungewöhnlich kleine) Schatten der Bundespolitik...................................................................................177 Nach den Landtagswahlen: Regierung, Parteien, öffentliche Meinung Axel Murswieck Von Schröder zu Merkel – eine Frage des (Regierungs-)Stils? Zu den Machtressourcen der Bundeskanzlerin in einer Großen Koalition...........199 Helge Batt Weder stark noch schwach – aber nicht groß: Die Große Koalition und ihre Reformpolitik .......................................................215 Matthias Micus & Franz Walter Entkopplung und Schwund: Parteien seit der Bundestagswahl 2005................................................................247 Richard Meng Das Bündnis der Artgleichen: Eine kritische Zwischenbilanz der Großen Koalition aus journalistischer Sicht..283 Autorenverzeichnis..................................................................................297 100 Tage Schonfrist nach der Bundestagswahl 2005? Mythos und Zwischenbilanz Helge Batt & Jens Tenscher1 1 Einleitung Das Jahr 2005 stellte in vielerlei Hinsicht eine politische Zäsur für die Bundesre- publik Deutschland dar: Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering kündigten noch am Abend der für die Sozialdemokraten verlorenen gegangenen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen an, die eigentlich für den Herbst 2006 vorgesehene Bundestagswahl um ein Jahr vorziehen zu wollen. Da- durch sollte, so die offizielle Begründung, den Bürgerinnen und Bürgern die Mög- lichkeit gegeben werden, über die Fortführung der von Rot-Grün eingeleiteten Reformen direkt abzustimmen. Gleichzeitig beabsichtigte Gerhard Schröder, sich eine neue, zuverlässige Bundestagsmehrheit zu beschaffen (vgl. u.a. H. Batt 2007: 64ff.). Über den Umweg des geplanten Vertrauensentzugs durch die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages wurde das Parlament – zum dritten Mal nach 1972 und 1983 – durch den Bundespräsidenten aufgelöst. Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 25. August dessen Entscheidung zur Auflösung bestätigt hatte, war der Weg zu vorgezogenen Neuwahlen frei, wel- che am 18. September 2005 stattfinden sollten; zu einem Zeitpunkt also, als der Wahlkampf bereits auf Hochtouren lief (vgl. hierzu u.a. K.-R. Korte 2005). Dieser zeichnete sich „durch eine besondere Intensität, eine ausgeprägte Bereitschaft zur Konfrontation sowie eine Re-Politisierung“ (J. Tenscher 2007: 65) aus und führte zu einem für viele Beobachter unerwarteten Ergebnis: vergleichsweise geringe Verluste auf Seiten der SPD, aber – überraschenderweise – auch bei den Unions- parteien sowie der klare Einzug von Grünen, FDP und Linken in den Bundestag. Dieses Ergebnis machte eine der erwünschten und in Bund und Ländern vielfach erprobten Regierungskoalitionen entlang der etablierten „Lagergrenzen“ unmög- lich, insbesondere weil sich das Wahlbündnis aus PDS und WASG für keine Partei als Koalitionspartner anbot. Die – nahezu logische – Konsequenz war schließlich die Bildung der zweiten Großen Koalition, eines Bündnisses der „Verlierer“ (B. Kornelius/D. Roth 2007), und die Wahl Angela Merkels zur ersten Bundeskanzle- rin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Seither sind zwei Jahre vergangen und die Legislaturperiode hat ihre Halbzeit hinter sich gebracht. Diese Phase möchte der vorliegende Band nutzen, um eine 1 Wir danken Matthias Bandtel für seine umfängliche Unterstützung bei der Formatierung der Beiträge dieses Bandes. 8 Helge Batt & Jens Tenscher Zwischenbilanz der zweiten Großen Koalition in der Geschichte der Bundesrepu- blik Deutschland zu ziehen. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf deren Startphase gelegt. Schließlich standen Regierungswechsel, Regierungsstil und politischer „Neubeginn“ angesichts der turbulenten bundespolitischen Situation des Jahres 2005 unter besonderer massenmedialer Beobachtung und erhöhter öffentli- cher Erwartungshaltung. Dies gilt umso mehr, als die üblicherweise neu gewählten Regierungschefs eingeräumten 100 Tage Schonfrist nahezu zeitgleich mit den Landtagswahlen am 26. März 2006 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt endeten (vgl. hierzu J. Schmid/U. Zolleis 2007). Diese zeitliche Koinzidenz schien sowohl für die Akteure im Bund als auch in den betroffenen Ländern nachhaltige Folgen zu haben: Auf der einen Seite mündete die bundespo- litische Situation – zumindest bei SPD und CDU – in eine Rückbesinnung auf landesspezifische Problemlagen und kam in vergleichsweise „lahmen“, wenig polarisierten Landtagswahlkämpfen zum Ausdruck. Auf der anderen Seite schien das politische „Durchstarten“ im Bund, insbesondere die Auseinandersetzung zwi- schen den Großkoalitionären auf die Zeit nach den regionalen Frühjahrswahlen verschoben worden zu sein. Vor diesem Hintergrund beabsichtigt der vorliegende Sammelband, die politi- sche Umbruchphase seit dem Ende des rot-grünen Projekts und insbesondere die Phase des Amtsantritts der Regierung der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD zu beleuchten. Dazu werden Perspektiven der Regierungs-, Parlamentaris- mus-, Parteien-, Medien-, Wahl(kampf)- und Policy-Forschung sowie bundes- und landespolitische Sichtweisen zusammengeführt. Mit dem Blick auf die Phase des Regierungsstarts einerseits und die Wechselwirkungen von bundespolitischer Re- gierungsbildung und Landtagswahlen im Schatten einer Großen Koalition anderer- seits wird an dieser Stelle ein neuer Akzent gesetzt. Im Vergleich zu abschließen- den Bewertungen bundespolitischer Regierungstätigkeit (vgl. u.a. C. Egle/R. Zohlnhöfer 2007) begeben sich die vorliegenden Diagnosen zur Zeit des „Atemho- lens“ nach dem Wahlkampf 2005 (vgl. u.a. die Beiträge in E. Jesse/R. Sturm 2006; F. Brettschneider et al. 2007) und die daraus abgeleiteten Prognosen für den politi- schen Wettbewerb in Bund und Ländern also in besonderer Weise auf den Prüf- stand. Zugleich verdeutlichen sie die für den föderalen Bundesstaat charakteristi- schen, vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Bundes- und Landespolitik, die nicht nur das Wahlverhalten, sondern eben auch den regionalen Wahlkampf, die Regierungsbildung bzw. -findung, die Parteienkonstellationen, das öffentliche „Stimmungsklima“ und – nicht zuletzt – das politische Handeln in Bund und Län- dern nachhaltig tangieren (vgl. u.a. G. Lehmbruch 2000; D. Hough/C. Jeffrey 2003; S. Mielke/W. Reutter 2004). 100 Tage Schonfrist nach der Bundestagswahl 2005? 9 2 100 Tage Schonfrist – nichts als ein Mythos? Markante Zeitpunkte fordern die Beobachter aus Wissenschaft und Medien in besonderem Maße heraus, das Handeln politischer Akteure zu analysieren. Sie liefern den Anlass, die Arbeit und die Tätigkeit von Regierungschefs, Regierungen, Parlamenten und Parteien zu bilanzieren. Dabei interessiert, wie diese Akteure bei der Bewältigung der anstehenden Probleme eines Landes, bei der Erfüllung eines Regierungsprogramms oder eines Koalitionsvertrages und anderer, von außen an die Akteure herangetragenen Anforderungen abschneiden. Ganz besondere Bedeu- tung kommt in diesem Zusammenhang der Zeitspanne der ersten 100 Tage einer neuen Regierung zu. Es mag willkürlich erscheinen, gerade 100 Tage als Markstein für eine erste Beurteilung einer neuen Regierung heranzuziehen. Mit großer Sicherheit kann nach zwei Jahren oder – wie in Demokratien üblich – zum Ende einer Legislatur- periode mehr darüber gesagt werden, ob neue Führungskräfte in politischen Herr- schaftsfunktionen ihre Aufgaben erfolgreich erfüllt haben. Dass schon nach 100 Tagen eine erste Zwischenbilanz gezogen wird, lässt sich historisch erklären.2 Der erste, dem eine entsprechende 100tägige Schonfrist zugebilligt wurde, war der US- amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt, der diese Zeit nach seinen Wahler- folgen in den 1930er Jahren als notwendig erachtete, bis der Erfolg der radikalen Wirtschaftsreformen des von ihm initiierten „New Deals“ die damit verbundenen Belastungen und Zumutungen übersteigen würde. In diesen ersten knapp drei Mo- naten seinen Amtszeit, die in die Geschichte als „The Hundred Days“ (J. Alter 2006) eingegangen sind, setzte Roosevelt zusammen mit dem Kongress mehr Ge- setze in Kraft, um die amerikanische Wirtschaftskrise zu bekämpfen, als viele andere US-Präsidenten in ihrer gesamten Präsidentschaft. Ihm nachfolgende US- Präsidenten, insbesondere John F. Kennedy, knüpften konsequenterweise an den Mythos der ersten 100 Tage an, der sich auch im Nachkriegsdeutschland zu einer politischen Gepflogenheit entwickelte. So stellen die ersten 100 Tage mittlerweile einen Meilenstein in der Amtszeit der Regierenden dar, eine magische Grenze mit – insbesondere für außen stehende Beobachter – hoher symbolischer, aber – für die politischen Akteure selbst – eben auch politikpraktischer Bedeutung (vgl. u.a. G. Pitronaci 2005; I. von Holly 2006: 155). Zum einen gelten die ersten 100 Tage als Anlauf- und Orientierungsphase für die frisch ins Amt Gewählten. Sie sind eine Schonzeit und eine Periode des „Waf- fenstillstands“, in der sich die politische Konkurrenten ebenso wie die journalis- tisch Beobachtenden vergleichsweise „milde“ und zurückhaltend zeigen, in deren Verlauf eine neue Regierung sich in ihre Arbeit einfinden, sich einarbeiten, Routi- nen entwickeln, den Faden der Regierungstätigkeit aufnehmen, die politische A- genda aufstellen, Personalentscheidungen treffen und erste Entscheidungen auf den 2 Historisch geht der Begriff auf die 100 Tage zwischen dem 1. März 1815 und dem 18. Juni 1815 zurück. Dies war die Zeit zwischen Napoleons Rückkehr aus dem Exil und seiner endgültigen Niederlage bei Waterloo (vgl. St. Coote 2005). 10 Helge Batt & Jens Tenscher Weg bringen kann. Regierungshandeln ist ein komplexer Prozess und Entschei- dungen benötigen in aller Regel eine gewisse Vorlaufzeit, um hinsichtlich ihrer Qualität und ihres Erfolgs beurteilt werden zu können. Die ersten 100 Tage sollen diesbezüglich zur weithin „unbedrängten“ personellen wie inhaltlichen Findung und Vorbereitung politischer Vorhaben dienen. So zumindest sieht es das still- schweigende Abkommen zwischen Regierenden, politischen Gegnern, Massenme- dien und Wählern vor; wenngleich sich nicht alle und nicht zu jeder Zeit daran zu halten scheinen. Neben dieser politikpraktischen Bedeutung stehen die ersten 100 Tage zum anderen auch für einen symbolischen Zeitraum, mit dessen Ablauf eine erste Bi- lanz der Tätigkeit einer neuen Regierung durch Medien und Opposition gezogen wird; wohl wissend, dass diese Zeit eigentlich für eine neue politische Führung zu kurz ist, um sich einarbeiten und erste Entscheidungen treffen zu können. Und dennoch muss sich diese nach 100 Tagen, ebenso wie Führungspersönlichkeiten anderer Gesellschaftsbereiche – ob aus Wirtschaft, Kultur oder Sport –, nach den ersten 100 Tagen in ihrer Rolle messen lassen; dies gilt für die Bundeskanzlerin genauso wie für Fußballbundestrainer oder Vorstandsvorsitzende (vgl. M. Trän 2002; T. J. Neff/J. M. Citrin 2005; St. Stern 2007). Nach 100 Tage ist die Fin- dungs- und Schonungsphase beendet und es werden – gerade im politischen Be- reich – von Konkurrenten und massenmedialen Beobachtern schwerere „Geschütze aufgefahren“. So sind die ersten 100 Tage im Amt für die Regierenden nicht nur eine Schonzeit, sondern zugleich auch eine für die weitere Legislaturperiode grundle- gende Phase, in der sich den Handelnden vergleichsweise große (politische) Ges- taltungsmöglichkeiten bieten, die aber auch sehr risikoreich und für das weitere Schicksal entscheidend sein kann. Man denke nur daran, dass mit der Invasion in der kubanischen Schweinebucht am 17. April 1961 ein militärisches und politi- sches Debakel für die USA just in den ersten 100 Tagen der Regierungsübernahme John F. Kennedys begann. Aber auch jenseits solch dramatischer Ereignisse sind die ersten 100 Tage einer Regierung nicht nur eine beschauliche Einarbeitungszeit. Denn von Beginn an werden – gerade nach einem Wechsel der Regierungsgeschäf- te – formale Entscheidungen, informelles Verhalten, symbolische Akte und Ent- scheidungsstile von den politischen Konkurrenten, den journalistischen Beobach- tern und Kommentartoren sowie den Wählern genau beobachtet und im Hinblick auf spätere Vorhaben und Entscheidungen bewertet. Alle Handlungen senden Bot- schaften aus, geben den Ton vor, wecken Erwartungen für spätere Zeiten und kommunizieren Informationen über Entscheidungsstile, Führungsqualitäten und inhaltliche Präferenzen der neuen Führungskräfte. Aus diesen Gründen können die ersten 100 Tage im Amt ein wichtiges Fundament für den späteren Erfolg – oder auch Misserfolg – von Regierungen und Führungspersonen in anderen gesell- schaftlichen Sphären legen (vgl. T. J. Neff/J. M. Citrin 2004). Insoweit ist die Me- tapher von der „Schonzeit“ irreführend: Der Druck auf neue Führungspersönlich- keiten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport ist vom ersten Tag an vorhanden, 100 Tage Schonfrist nach der Bundestagswahl 2005? 11 wenngleich er sich öffentlich nach Überwindung der 100-Tage-Frist in stärkerem Maße manifestiert. In der 100-Tage-Phase des Einarbeitens und des Beobachtetwerdens ist die richtige Balance zwischen Analyse und Handeln entscheidend (vgl. A. Maitland 2005). Richtige Entscheidungen können nach innen integrativ auf die Regierung wirken und nach außen hin Signale der Handlungsfähigkeit und Dynamik setzen. Rasche und tief greifende Entscheidungen bereits in den ersten 100 Tagen können durch krisenhafte Zustände auch erzwungen werden oder sie können deswegen sinnvoll sein, weil zu einem frühen Zeitpunkt „schmerzhafte“ politische Entschei- dungen von Bürgern und Wählern leichter toleriert werden als zu späteren Zeiten. Solche Entscheidungen können aber auch die genau entgegengesetzte Wirkung entfalten, wenn sie nicht in die komplexen politisch-institutionellen und politisch- prozessualen Rahmenbedingen einer neuen Regierung eingebunden sind. In einem solchen Fall kann es durch nicht angemessene Entscheidungen einer neuen Regie- rung bereits in den ersten 100 Tagen zu Entfremdungsprozessen innerhalb der Regierung und zu erheblichem Vertrauensverlust seitens der Medien und der Wäh- ler kommen. 3 Zum Inhalt des Bandes Ziel des vorliegenden Bandes ist es, die ersten 100 Tage der zweiten Großen Koali- tion der Bundesrepublik Deutschland zu analysieren und dabei herauszufinden, in welchem Maße die Chancen einer „Schonfrist“, so diese denn überhaupt einge- räumt wurde, genutzt wurde. Dabei geht der Blick nicht nur auf die Regierenden selbst, sondern auch auf politische Konkurrenten, die Parteien, die Massenmedien sowie die Wählerinnen und Wähler. Die in doppelter Hinsicht besondere Konstel- lation – die Bildung einer Großen Koalition im Bund sowie die zeitliche Koinzi- denz mit den Landtagswahlen im März 2006 – verlangt nach einer umfassenden Betrachtungsweise, die auch mit dem Ablauf der 100-Tage-Schonfrist nicht abbre- chen kann. So nehmen die Beiträge dieses Sammelbandes den Regierungsstart und die Politik der Großen Koalition, deren massenmediale Resonanz und öffentliche Wahrnehmung erstens unter der beschriebenen Perspektive der ersten 100 Tage bis hin zum Zeitpunkt der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt in den Blick. Zweitens wird ein Blick auf die Wahlkämpfe und die Wahlen in diesen drei Bundesländern geworfen, der Blick mithin weg von der Bundes- und hin auf die Landesebene gerichtet, nicht zuletzt, um die wechsel- seitige Durchdringung politischen Handelns und Kommunizierens im föderalen System zu verdeutlichen. Drittens werden, aus der Perspektive des Herbsts 2007, das Zustandekommen der Großen Koalition, deren Findungsphase in den ersten 100 Tagen sowie der weitere Verlauf der Arbeit der Bundesregierung bis zum Ende der ersten Hälfte der Legislaturperiode untersucht.

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