Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Titel der Originalausgabe »Prosperity without Growth. Economics for a Finite Planet« © Tim Jackson, 2009, zuerst veröffentlicht bei Earthscan, London, 2009 © Deutsche Erstausgabe oekom verlag, München 2011 Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstraße 29, 80337 München Aktualisierte und überarbeitete Neuausgabe, München 2013 Übersetzung der englischen Ausgabe authorisiert durch Routledge, ein Mitglied der Taylor & Francis Group Lektorat und Revision der Neuausgabe: Linda Geßner Titelgestaltung: www.buero-jorge-schmidt.de Titelmotiv: gettyimages Gestaltung + Satz Innenteil: Ines Swoboda, oekom verlag eBook: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-542-2 Die Heinrich-Böll-Stiftung ist eine politische Stiftung und Agentur für grüne Ideen und Projekte. Sie fördert die Entwicklung der demokratischen Zivilgesellschaft im In- und Ausland und engagiert sich für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Darüber hinaus unterstützt sie begabte, gesellschaftspolitisch aktive Studierende und Graduierte. Die Stiftung ist durch Auslandsbüros auf fast allen Kontinenten vertreten. Adresse Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin Telefon: 030/28 53 40 Fax: 030-28 53 4-109 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.boell.de/ Vorwort zur aktualisierten und überarbeiteten Neuausgabe von Tim Jackson Vorworte 1 Der verlorene Wohlstand Wohlstand als Wachstum Die Frage der Grenzen Jenseits der Grenzen 2 Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit Auf der Suche nach den Schurken Das Labyrinth der Schulden Der Feind im Innern Ökologische Schulden 3 Wohlstand neu definieren Wohlstand als Fülle Wohlstand als Nutzen Wohlstand als Verwirklichungschancen Verwirklichungschancen innerhalb von Grenzen 4 Das Wachstumsdilemma Materielle Fülle als Voraussetzung des Gedeihens Einkommen und grundlegende Ansprüche Einkommenswachstum und wirtschaftliche Stabilität 5 Der Mythos Entkopplung Relative Entkopplung Absolute Entkopplung Die Zahlenlehre des Wachstums Schwerwiegende Entscheidungen 6 Das »stahlharte Gehäuse« des Konsumismus Strukturen des Kapitalismus Gesellschaftliche Logik Der Reiz des Neuen und die Angst 7 Keynesianismus und der »Green New Deal« Wege, das Wachstum anzukurbeln Der Green New Deal Strategien zur Schaffung von Arbeitsplätzen Das Potenzial für einen »grünen« Aufschwung Den Aufschwung finanzieren Jenseits des Aufschwungs 8 Ökologische Makroökonomie Grundlagen der Makroökonomie Den »Motor des Wachstums« verändern Die Arbeit teilen Ökologische Investitionen Grundlagen für eine ökologische Makroökonomie 9 Gedeihen – in Grenzen Ein Leben ohne Scham Alternativer Hedonismus Die Rolle des strukturellen Wandels 10 Ein Regierungsmodell für den Wohlstand Die Rolle der Regierung Eigennutz und Selbstlosigkeit Varianten des Kapitalismus Der Staat im Zwiespalt 11 Der Weg in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem Die Grenzen festsetzen Das Wirtschaftsmodell reparieren Die gesellschaftliche Logik verändern Kein Utopia 12 Bleibender Wohlstand Vorstellungen vom Wohlstand Aschenputtel auf dem Ball? Das Ende des Kapitalismus? Es ist an der Zeit … Dank Anhang Redefining Prosperity. Ein Projekt der Sustainable Development Commission Literatur Anmerkungen Über den Autor Vorwort zur überarbeiteten Neuausgabe Tim Jackson »Die Vergangenheit ist ein fremdes Land«, verkündet der titelgebende Erzähler des Films The Go-Between – Der Mittler, »sie machen dort alles anders.« Erst vier Jahre sind seit der Erstveröffentlichung von Prosperity without Growth vergangen – kaum zwei seit der ersten deutschen Ausgabe – und doch scheint die Welt heute schon eine ganz andere zu sein. Einer der deutlichsten Unterschiede ist, dass sich die globale Wachstumsdebatte dramatisch verändert hat. Die konventionelle Vision von gesellschaftlichem Fortschritt als ein Paradies endlosen Wachstums wird zunehmend genaueren Prüfungen unterzogen: nicht nur durch diejenigen, die an der grundsätzlichen Machbarkeit zweifeln und seine Erwünschtheit hinterfragen; auch durch die, die sich Gedanken darüber machen, wo um alles in der Welt dieses Wirtschaftswachstum herkommen soll – jetzt, nach der schlimmsten Finanzkatastrophe innerhalb der letzten achtzig Jahre. Die Frage, die einstmals nicht gefragt werden durfte, beherrscht die Medien heute regelmäßig: Ist es vorstellbar, dass uns Wirtschaftswachstum am Ende doch keinen bleibenden Wohlstand liefert? Als ich in meiner Rolle als Wirtschaftsbeauftragter zum ersten Mal zu erkennen gegeben habe, dass die britische Regierungskommission für Sustainable Development einen Bericht über die Beziehung zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit schreiben würde, warf mir ein Schatzmeister aus dem Publikum vor, ich würde wollen, dass wir alle wieder in Höhlen leben. Ein anderer Amtsträger hat viel Zeit und Mühe investiert, um mich davon abzubringen, den Wachstumsaspekt überhaupt in den Bericht mit aufzunehmen. Wachstum zum Thema zu machen ist doch aber genau der Punkt, gab ich naiv zurück. Im April 2009, in der Nacht vor der Veröffentlichung, rief mich derselbe Beamte an, um mir mitzuteilen, dass »Number 10« (die britische Regierungsresidenz in der Downing Street, London – seinerzeit die von Gordon Brown) »an die Decke gegangen ist«. Was ich da hätte machen sollen, ist mir bis heute ein Rätsel. Im Rückblick kann ich natürlich erkennen, dass es für einen Regierungsberater gewagt war, einen Bericht zu veröffentlichen, der zwei so wenig zueinander passende Begriffe in einem Titel zusammenbringt: »ohne« und »Wachstum«. Einen derartigen Report aber in genau der Woche zu publizieren, in der der Premierminister einen G20-Gipfel ausrichtet, um über Wachstumsanstöße zu beratschlagen, bedeutet, dass man Ärger sucht. (Die Kommission selbst hat nach der Veröffentlichung übrigens kein weiteres Jahr überlebt.) Auch hier zeigt sich der kulturelle Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Krise war erst ein paar Monate alt und die G20-Sprache strotzte noch vor Selbstüberschätzung: das Wachstum brauche einfach nur einen entschiedenen »Tritt von hinten« und die Dinge würden sich schon schnell wieder normalisieren. Vier Jahre später sieht es so aus, als wäre dieser Begeisterungsrausch für kurzfristige Konjunkturpakete eher jugendliche Schwärmerei gewesen als ein bedeutsames Liebesverhältnis. Die Bruchlinien innerhalb der konventionellen Wirtschaftswissenschaften haben sich spürbar ausgedehnt. Was einmal nach kleinen, für die westliche Welt kaum sichtbaren Rissen aussah, hat sich mittlerweile zu respektablen Schluchten vertieft, die ganze Nationen zu verschlingen drohen. Der Kollaps der Lehmann Brothers am 15. September 2008 signalisierte mehr als den Beginn einer konjunkturellen Liquiditätskrise. Das stumpfe Licht der hartnäckigen Rezession hat die einstmals so makellose Oberfläche des Kapitalismus Bruch für Bruch ausgeleuchtet: schonungslos offenbart sich, dass diese Brüche tief ins Herz des Wirtschaftsmodells reichen. Wie Wohlstand ohne Wachstum zeigt, ist der moderne Kapitalismus seiner Natur nach auf die vermeintliche Unersättlichkeit menschlicher Bedürfnisse angewiesen, in der permanenten Erwartung stetig wachsender Konsumausgaben. Wo auch immer er auftaucht – der Kapitalismus drängt dadurch nach vorne, dass er nach immer neuen Märkten für immer neue Produkte sucht: die kontinuierliche Überwerfung mit dem Alten zugunsten des Neuen, das Eindringen des Marktes in immer persönlichere Bereiche unseres Lebens. Am Anfang kann dieser Prozess ungemein produktiv sein und zu erheblichen Verbesserungen im realen Lebensstandard führen. Um dem Gebot unseres Wirtschaftssystems aber gerecht zu werden, und diesen Prozess dauerhaft in Gang zu halten, brauchen wir Menschen, die eisern an ihrer Sucht nach materiellen Dingen festhalten, die immerzu bereit sind, sich Geld zu leihen und auszugeben – wenn nötig, sogar ihre eigene finanzielle Zukunft zu verpfänden – nur um weiter einkaufen und konsumieren zu können. Und wenn wir ehrlich sind, sind wir alle ein bisschen betroffen: das »Neue« ist für uns alle interessant und in unterschiedlichem Maße bedeutsam. Über das »Neue« erzählen wir uns zum Beispiel Geschichten darüber wie wichtig wir sind: das »Neue« signalisiert Status. Außerdem signalisiert es uns Fortschritt und bietet Hoffnung – eine leuchtendere und glänzendere Welt für unsere Kinder und Kindeskinder. Sollten wir unsere Lust am Neuen einmal vergessen oder versuchen, gar ohne auskommen zu wollen, sind schnell jede Menge pfiffiger Werber und Vermarkter, Investoren und Politiker zur Stelle, um uns wieder daran zu erinnern. Um uns – in ganz einfachen Worten – dazu zu bringen, von dem Geld, das wir nicht haben, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, um bei Leuten, die uns eigentlich egal sind, Eindruck zu hinterlassen, der nicht anhält. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass die Vorstellung von der Menschheit als einer unersättlichen Horde eigennütziger »Novitäten-Jäger« – wenn schon nicht völlig unzutreffend – absolut unvollständig ist. Es stellt sich heraus, dass eigentlich nur Ökonomen wirklich daran glauben. Die gute Nachricht ist: wir brauchen keinen radikalen Wandel in der menschlichen Natur, um Wohlstand zu erreichen. Die schlechte Nachricht ist: unser Wirtschaftsmodell ist von Grund auf fehlerhaft. Die Rezession ist das perfekte Lehrstück. Die finanzielle Krise war nicht einfach nur Ergebnis schurkenhaften Verhaltens oder unglücklicher Umstände. Ihr Eintreten war schlichtweg unvermeidbar: ein Störfall, der nur darauf gewartet hat, aufzutreten. Eine Wirtschaft, deren Stabilität von endloser Stimulation der Konsumentennachfrage abhängt, greift zwangsläufig auf eine Ausweitung der Geldmenge zurück, um Wachstum in Gang zu halten. Der Kreditboom schafft empfindliche Bilanzen, und um hässliche Schulden zu verschleiern, werden komplexe finanzielle Instrumente entwickelt. Das geht solange gut, bis diese Schulden überhand nehmen und ein »toxisches« Maß erreichen – dann bricht das System zusammen. Regierungen haben zig Billionen Dollar eingesetzt, um den Banken aus der Klemme zu helfen und die Weltwirtschaft wiederzubeleben. Hohe Finanzkredite haben jedoch nur eine weitere schwere Krise herbeigeführt: In der gesamten Eurozone ist ein Land nach dem anderen mit wachsenden Defiziten, schwerwiegender Staatsverschuldung und zurückgestufter Bonitätsbeurteilung konfrontiert. Die strengen Sparpolitiken, die eingeführt