Klaus North | Stefan Güldenberg Produktive Wissensarbeit(er) Klaus North | Stefan Güldenberg Produktive Wissensarbeit(er) Antworten auf die Management- Herausforderung des 21. Jahrhunderts Mit vielen Fallbeispielen ■ Performance messen ■ Produktivität steigern ■ Wissensarbeiter entwickeln Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWVFachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Ulrike M. Vetter Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. indiesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-8349-0738-7 Drei Gründe, sich mit produktiver Wissensarbeit zu beschäftigen 1.1 Vorwort „The most important contribution of management in the 20th century was to increase manual worker productivity fifty-fold. The most important contri- bution of management in the 21st century will be to increase knowledge worker productivity - hopefully by the same percentage. […] The methods, however, are totally different from those that increased the productivity of manual workers.” (Peter F. Drucker) Der Reichtum der westlichen Welt basiert zu einem Gutteil auf der Fähigkeit zu effizientem Management der manuellen Arbeit und der damit verbunde- nen Produktivitätssteigerung seit Anbeginn der industriellen Revolution. Heute müssen wir zunehmend erkennen, dass unsere Managementprakti- ken und Steuerungsmechanismen wenig geeignet sind, um auf der einen Seite in Organisationen effiziente Wissensarbeit zu ermöglichen und auf der anderen Seite für wissensintensive Organisationen und Wissensarbeiter glei- chermaßen attraktive Standortbedingungen zu bieten. Wissensarbeiter lassen sich im Gegensatz zu manuellen Arbeitern durch an- dere Faktoren motivieren, sie arbeiten anders und sie benötigen andere Rahmenbedingungen. So sind beispielsweise Wissensarbeiter in einem im- mer geringeren Ausmaß bereit, sich einer klassischen Unternehmenshierar- chie unterzuordnen. Häufig verlassen die besten Köpfe die Organisation und machen sich selbständig. Bedeutet dies, dass unsere Unternehmen für Wissensarbeiter nicht attraktiv genug sind? Oder liegt es nur am falschen Führungsstil und nicht mehr zeitgemäßen Managementmethoden, dass im- mer mehr Wissensarbeiter ihre Zukunft außerhalb von Organisationen se- hen? Gibt es erfolgreiche Modelle der Förderung von Fachkarrieren gegen- über Management-Karrieren? Die Art und Weise, wie vielfach Informations- und Kommunikationstechno- logien genutzt werden (z. B. die E-Mailflut) scheint die Produktivität von Wissensarbeit eher zu mindern, denn zu fördern. Angebotsorientierte und zentralistische Ansätze des Wissensmanagements gehen an den konkreten Bedürfnissen und Erwartungen von Wissensarbeitern vorbei.Das Buch stellt praxiserprobte Methoden und Beispiele dar, die nicht nur die oben geschil- derten Herausforderungen beschreiben, sondern konkrete Vorschläge für die Messung und Gestaltung effizienter Wissensarbeit machen. Wir behan- deln dabei u.a. folgende Themen mit Selbstdiagnosen, Methodenund Werk- zeugen sowie vielen Fallbeispielen produktiver und humanerWissensarbeit: 5 0 Vorwort (cid:2)(cid:2) Was ist Wissensarbeit? (cid:2)(cid:2) Was sind wirksame Methoden für die Steigerung der Produktivität und die Gestaltung kreativer, gesunder und persönlich befriedigender Wis- sensarbeit? (cid:2)(cid:2) Können Wissensarbeiter geführt werden, und wenn ja wie? (cid:2)(cid:2) Welche Rolle spielt die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) als Instrument zur Produktivitätssteigerung von Wissensarbeitern? (cid:2)(cid:2) Welche Möglichkeiten der Performance-Messung (Produktivität, Wert- schöpfung, Qualität usw.) von Wissensarbeit gibt es und wo liegen die Vor- und Nachteile einzelner Methoden? Mit diesem Buch halten Sie zwei Bücher in einem in der Hand: zum einen, eine Handlungsanleitung zur Reflexion und Gestaltung von Wissensarbeit, zum anderen eine Sammlung von 21 Fallbeispielen aus unterschiedlichen Berufsfeldern der Wissensarbeit, die jedem Unterkapitel folgen. Hierdurch wird deutlich, wie produktive Wissensarbeit gestaltbar ist. Im ersten Kapitel beginnen wir mit Berichten aus der Zukunft der klassi- schen Wissensarbeiter aller Gesellschaften: den Berufsfeldern Lehrer, Pfarrer, Arzt. Es folgen Geschichten aus dem Zukunftsalltag eines Rechts- anwalts, aus der Forschung, dem Journalismus, der Entwicklungszusam- menarbeit und vielen weiteren Wissensarbeitern. Vielleicht regen diese Ge- schichtenSie dazu an, über die Zukunft Ihrer Wissensarbeit nachzudenken. Dieses Buch zeigt auch, wie moderne Wissensarbeit heute funktioniert: Es ist ein Gemeinschaftswerk. Wir danken allen Fallstudienautoren, zu denen Sie Kurzinformationen im Autorenverzeichnis finden, für ihre kreativen Beiträ- ge. Kapitel 4 zur Informations- und Kommunikationstechnologie wurde von Rupert Petschina gestaltet, dem dafür unser Dank gilt. Zu besonderem Dank verpflichtet sind wir Alexandra Hingott, die die Ge- samtredaktion des Buches, die grundlegenden Recherchen und Kapitel 3.5 übernommen hat. Dem Gabler Verlag, insbesondere Ulrike M. Vetter, gilt unser Dank für die Unterstützung des Projekts. Wir wünschen anregende Lektüre und freuen uns auf Leserpost unter [email protected] oder [email protected]. Wiesbaden und Vaduz, im Juli 2008 Klaus North Stefan Güldenberg 6 Drei Gründe, sich mit produktiver Wissensarbeit zu beschäftigen 1.1 Inhaltsverzeichnis Vorwort.....................................................................................................................5 1 Wissensarbeit(er) - Die Herausforderungen...................................................9 1.1 Drei Gründe, sich mit produktiver Wissensarbeit zu beschäftigen...............................................................9 Lehren und Lernen - neu erfunden..........................................................15 1.2 Was ist Wissensarbeit?.........................................................................21 Pfarrerin 2020..........................................................................................36 1.3 Produktivitätskiller und -potenziale der Wissensarbeit..................41 Arzt im Jahr 2016....................................................................................56 Wissensmanagement bei Helios...............................................................62 2 Wissensarbeit managen und messen.............................................................65 2.1 Von der Kunst und Praxis, sich selbst als Wissensarbeiter zu führen...................................................................66 Ein Tag im Leben des Rechtsanwalts Friedrich Winter...........................74 2.2 Wissensarbeiter und Motivation.........................................................79 Mit Sinn² managen Menschen Wissen erfolgreich..................................88 2.3 Von der Kunst und Praxis, (andere) Wissensarbeiter zu führen....89 Google der attraktivste Arbeitgeber für Wissensarbeiter.........................92 2.4 Wissensorientierte Führung in lernenden Organisationen.............94 Die sieben Phasen einer Veränderung zur produktiven Wissensarbeit....98 2.5 Wissensarbeit messbar machen.........................................................106 Evas Wissensbilanz................................................................................124 2.6 Strategien der Performancesteigerung von Wissensarbeitern......130 Zwischen den Welten: Forscher in einer außeruniversitären Forschungsinstitution...........................................................................141 7 0 Inhaltsverzeichnis 3 Gestaltungsfelder produktiver und humaner Wissensarbeit...................145 3.1 Gesund denken...................................................................................145 Ein Blick in die kreative Zukunft..........................................................151 3.2 Lernen und Kompetenzentwicklung...............................................155 Wissensarbeit in der Produktion mit dem Produktionslernsystem (PLS) bei Daimler............................................166 3.3 Die Informationsflut bewältigen.......................................................169 Volontär Florian Wunderlich im Wissenswunderland..........................177 3.4 Zusammenarbeit gestalten................................................................180 Armutsbekämpfung, aber bitte professionell..........................................188 3.5 Standardisierung und Verlagerung von Wissensarbeit.................199 Wissen in Aktion in der Produktion......................................................207 4 Wie I&K-Technologie Wissensarbeit unterstützen kann..........................211 4.1 Maßanzüge für Wissensarbeiter -Worauf kommt es an?.............211 Forschungsalltag bei einem globalen Geschäftssoftwarehersteller.........218 4.2 IKT-Systeme für den Wissensarbeiter - Überblick.........................223 Skywiki - das unternehmensweite Wissensportal von Fraport..............234 4.3 Produktivitätssteigerungen durch IKT realisieren.........................240 Jutta M. arbeitet sich ein.......................................................................247 5 Produktive Wissensarbeit leben...................................................................251 5.1 Schlüsselkompetenzen für Wissensarbeiter....................................251 Leitbild eines Wissensarbeiters..............................................................255 5.2 Wissensmanager als „Coaches“........................................................258 Gestatten ..., ich bin Wissensmanagerin................................................259 5.3 Einige pragmatische Vorschläge.......................................................263 Autorenverzeichnis............................................................................................265 Literaturverzeichnis............................................................................................269 Stichwortverzeichnis..........................................................................................277 8 Drei Gründe, sich mit produktiver Wissensarbeit zu beschäftigen 1.1 1 Wissensarbeit(er) - Die Herausforderungen 1.1 Drei Gründe, sich mit produktiver Wissensarbeit zu beschäftigen Die Presse ist voll von Meldungen über Fabrikschließungen und Standort- Bereits 30 % der verlagerung von Fertigungsstätten. Wir verlieren zunehmend einfache, Erwerbstätigen schnell erlernbare Tätigkeiten. Dieser Verlust wird jedoch noch nicht durch sind Wissens- den steigenden Anteil der Erwerbstätigen in wissensintensiven Tätigkeiten arbeiter kompensiert. Bereits über 30 % der deutschen Erwerbstätigen arbeiten in so genannten wissensintensiven Berufen, wie z. B. als Ingenieur, Wissenschaft- ler, Lehrer, Berater, Banker, Manager, Journalist, Arzt, Jurist, Künstler, in so- zialen Berufen oder in informations- und kommunikationstechnischen Beru- fen, um nur einige zu nennen (Hall 2007). Abbildung 1-1 zeigt, wie sich die Anteile der Beschäftigen beim Wandel von einer Industrie- zur Wissensge- sellschaft verändern. Florida (2002) postuliert die Entstehung einer neuen sozialen Schicht, der „Creative Class“, deren Werte Kreativität, Individualität, Anderssein und Leistungsorientierung sind. Diese Beschäftigen verdienen einen Großteil der Lohn- und Gehaltsumme in den USA (Florida 2007, S. 29). Und auch bei den verbleibenden zwei Dritteln der Tätigkeit steigt der Anteil Wissen = von Informations- und Wissensverarbeitung. „Wertschöpfung durch Wis- Wohlstand sen“ wird zur dominierenden Quelle unseres Wohlstandes. Diesen Wohlstand werden wir nur halten bzw. mehren können, wenn er auf pro- duktiver und kreativer Wissensarbeit beruht. Hierbei helfen viele der Rezepte aus dem Industriezeitalter jedoch nicht wei- Globale ter. Wissensarbeiter, Unternehmen und Organisationen sowie darüber hin- Wissens- aus Regionen und Länder arbeiten daran, sich in der globalen Wissensöko- ökonomie nomie zu positionieren, und suchen adäquate Ansätze für das Managen von Wissensarbeit(ern). 9 1 Wissensarbeit(er) - Die Herausforderungen Abbildung 1-1 Wandel von Industrie- zur Wissensgesellschaft (Barley 1994) 100% 90% 80% Information und Wissen 70% BeAsnctheäilfdtiegtren 5600%% KlassischeDienstleitungen 40% 30% Industrieund Handwerk 20% Land-und 10% Forstwirtschaft 0% 1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020 Deswegen gibt es drei gewichtige Gründe, warum wir uns mit produktiver Wissensarbeit beschäftigen sollten: 1. Warum sich Wissensarbeiter mit ihrer Wissensarbeit beschäftigen sollten. Taylorsche Der allseits beklagte Fachkräftemangel bedeutet nicht, dass damit automa- Arbeitszerlegung tisch der Marktwert von Wissensarbeitern steigt. Nicht nur industrielle Ar- auch für Wissens- beit, sondern auch Wissensarbeit unterliegt den Gesetzen der globalisierten arbeit Wirtschaft. Es ist nicht überraschend, dass Wissensarbeit ins Ausland verla- gert wird, wenn z. B. ein Programmierer in Osteuropa oder in Indien einen Bruchteil der hiesigen Kosten verursacht. Wie Industriearbeit, so wird auch Wissensarbeit nach den Prinzipien Taylors zerlegt. Einfache, standardisierbare Teile werden dort erledigt, wo preiswer- te Fachkräfte zur Verfügung stehen. Das Zusammenfügen, Interpretieren, Vernetzen wird dann von den höher bezahlten Wissensarbeitern in den Hochlohnländern durchgeführt. In Kapitel 3.5 gehen wir darauf näher ein. Sie können selbst einmal berechnen, ob Ihr Arbeitsplatz gefährdet ist. Überschlagen Sie einmal, wie hoch Ihre Wertschöpfung in Relation zu den Gesamtkosten Ihres Arbeitsplatzes ist (Gehalt + Nebenkosten sowie Investi- tionen in Ihren Arbeitsplatz und Sozialeinrichtungen): 10 Drei Gründe, sich mit produktiver Wissensarbeit zu beschäftigen 1.1 Wertschöpfung Gesamtarbeitskosten Die Daten liegen Ihnen nicht vor? Sie kennen Ihre Wertschöpfung nicht? Wie hoch ist Ihr Dann sollten Sie sich einmal intensiv damit beschäftigen! Liegt der Quotient Marktwert als in der Größenordnung von zwei, dann ist davon auszugehen, dass Ihr Job Wissensarbeiter? zunächst sicher ist. Weniger angenehm wäre für Sie die Erkenntnis, dass der Quotient aus Wertschöpfung und Gesamtkosten des Arbeitsplatzes nahe eins oder sogar darunter liegt. Dann wären Sie wirtschaftlich wenig attraktiv für Ihren Arbeitgeber. Ein Mitarbeiter eines Großkonzerns, der sich selbstständig gemacht hatte, stellte fest: „Jetzt wird mir erst klar, wie viel ich leisten muss, um das Gehaltsni- veau meiner früheren Tätigkeit zu halten. Ich denke, viele meiner früheren Kollegen verdienen ihr Gehalt nicht“. Wissensarbeiter sind zunehmend Freiberufler. Sie müssen ihr Wissen ver- Wissensarbeiter markten und ihre Zeit produktiv einsetzen. Viele Wissensarbeiter klagen sind Freiberufler, über Informationsüberlastung und ständig steigende Arbeitsintensität. Ha- auch als ben Sie Strategien des persönlichen Informations- und Wissensmanage- Angestellte! ments? Und noch eine Gewissensfrage: Bringen Sie Ihre Talente, Fähigkeiten und Potenziale in Ihrer Tätigkeit voll ein? Oder sagen Sie lieber: „Das lohnt sich nicht! Ich halte mich zurück! Ich werde sowieso ausgebremst!“ Wenn dies der Fall ist, dann sollten Sie mal darüber nachdenken, ob Ihr derzeitiger Job noch der richtige ist. Fakten zur Wissensarbeit Deutschland (cid:2)(cid:2) 2006 arbeiteten bereits rund 31 % der Erwerbstätigen in wissensintensiven Beru- fen.1 (cid:2)(cid:2) Wissensintensive Berufe verzeichneten zwischen 1996 und 2004 einen Zuwachs von 12,4 %, während die Anzahl der Erwerbstätigen in traditionellen Berufen um 8,8 % zurückging.2 International (cid:2)(cid:2) Die Beschäftigung im Dienstleistungssektor hat sich seit 2001 nahezu verdoppelt. Knapp 70 % der Erwerbstätigen im OECD-Gebiet arbeiteten 2006 in diesem Be- reich.3 1 BIBB/BAUA-Erwerbstätigenbefragung 2006, gewichtete Daten 2 Mikrozensus Scientific Usefiles 1996, 2000, 2004; BIBB 3 Stats.OECD.org, Zugriff 21.06.2008 11