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Positionierung und Selbstbehauptung: Debatten Über Den Ersten Zionistenkongreß, Die >Ostjudenfrage PDF

168 Pages·2003·4.62 MB·German
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Conditio Judaica 45 Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Hans Otto Horch in Verbindung mit Alfred Bodenheimer, Mark H. Gelber und Jakob Hessing Achim Jaeger / Wilhelm Terlau / Beate Wunsch Positionierung und Selbstbehauptung Debatten über den Ersten Zionistenkongreß, die >Ostjudenfrage< und den Ersten Weltkrieg in der deutsch-jüdischen Presse Herausgegeben von Hans Otto Horch Max Niemeyer Verlag Tübingen 2003 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-65145-8 ISSN 0941-5866 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2003 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Nadele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren Inhalt Vorwort VII I Zion und >Zionismus< Die deutsch-jüdische Presse und der Erste Baseler Zionistenkongreß Von Achim Jaeger und Beate Wunsch 1 >Zionismus< - und public relations 1 Wem gehört - >Zionismus<? 8 Was darf und kann - >Zionismus<? 22 Wer furchtet sich vor - >Zionismus<? 32 Wie präsentiert sich - >Zionismus<? 44 Wie verkauft sich - >Zionismus<? 53 Resümee 63 II »Ein Gespenst geht um in Deutschland [...]« Die >Ostjudenfrage< im Spiegel der deutschsprachigen jüdischen Presse während des Ersten Weltkriegs Von Wilhelm Terlau und Beate Wunsch 67 Heterogene Diskurse über die >Ostjudenfrage< 67 Zur >Anstößigkeit< der >Ostjuden< - drei exemplarische Debatten 73 Vorsichtige Annäherungen an das >Ostjudentum< bei den Liberalen 80 Das Band der Religion und Tradition 88 Zionistische Positionen 95 Resümee 107 III Drei Stimmen im Weltkrieg Die »Jüdischen Monatshefte«, das »Jüdische Jahrbuch für die Schweiz« und »Die Wahrheit. Unabhängige Zeitschrift fur jüdische Interessen« Von Beate Wunsch 111 VI Inhalt »Jüdische Monatshefte« 111 Das deutsche Vaterland - »Wir« - Feindbilder 112 Deutsche Sprache und Kultur 114 >Judenzählung< 115 Weltgeschichtliche Bedeutung des Judentums 116 Bilanz nach dem Krieg 116 Die jüdische Nation - Palästina 117 »Jüdisches Jahrbuch fur die Schweiz« 120 Programmatisches 120 > Wir Juden in der Schweiz< - Neutralität im Krieg 121 Palästina und die »Renaissance des jüdischen Wesens« 124 »Die Wahrheit« 127 Kriegsschuldfrage, England, >die Diplomaten< und der Zar 127 Jüdische Tapferkeit und Kaisertreue 129 Burgfrieden und Sündenbock 131 Judentum und Deutschtum 133 Zionismus - jüdisches und deutsches Volk 134 IV »Selbstwehr« - eine zionistische Zeitung im Ersten Weltkrieg Von Wilhelm Ter lau 137 Verzeichnis der jüdischen Periodika mit Siglen 151 Personenregister 153 Vorwort Die Beiträge dieses Bandes sind aus einem Projekt des Aachener Lehr- und Forschungsgebiets Deutsch-jüdische Literaturgeschichte im Rahmen des trila- teralen Forschungsschwerpunkts Differenzierung und Integration. Sprache und Literatur deutschsprachiger Länder im Prozeß der Modernisierung hervorge- gangen. Zielsetzung dieses Schwerpunkts, dessen insgesamt 35 Einzelprojekte von den Forschungsförderungsinstitutionen der Schweiz (Schweizerischer Nationalfonds), Österreichs (Österreichischer Fonds fur die wissenschaftliche Forschung) und Deutschlands (Deutsche Forschungsgemeinschaft) finanziell getragen wurden, war es, »die Vielfalt und Einheit der Literatur im deutsch- sprachigen Kulturraum unter dem Gesichtspunkt ihrer kulturtopographischen Ordnungsstrukturen und deren Dynamik ins Auge zu fassen«, wobei als per- spektivischer Fluchtpunkt der »sozial- und kulturhistorisch epochale Prozeß der Modernisierung« gewählt wurde.1 Das Aachener Projekt beschäftigte sich mit Diskursen deutsch-jüdischer Zeitschriften im Spannungsfeld von Akkulturation, Antisemitismus und jüdi- scher Identitätssuche, 1870-1933/38. Ausgangspunkt war die Überzeugung, daß das Medium der jüdischen Periodika in besonderer Weise geeignet ist, Lebensfragen der jüdischen Minderheit in den deutschsprachigen Ländern (Kaiserreich und Weimarer Republik, Habsburger Doppelmonarchie und Re- publik Österreich, Schweiz) auf allen wichtigen Feldern der Politik wie der Kultur zu rekonstruieren. Ludwig Holländer hat 1931 die Signatur einer dezi- diert >jüdischen< Presse so beschrieben: sie habe einen jüdischen Herausgeber bzw. Verleger und einen jüdischen Redaktionsstab, sie bringe Beiträge vor- wiegend jüdischer Publizisten, beschäftige sich mit spezifisch jüdischen The- men und erreiche - wenn nicht der Absicht nach, so doch faktisch - ein fast ausschließlich jüdisches Publikum.2 Damit ist klar, daß Fragen der Akkultura- 1 Vgl. zusammenfassend zum Forschungsschwerpunkt das Vorwort in: Kulturtopo- graphie deutschsprachiger Literaturen. Perspektivierungen im Spannungsfeld von Integration und Differenz. Hrsg. v. Michael Böhler und Hans Otto Horch. Tübingen: Niemeyer 2002, S. 1-7, insbes. S. 3-5, hier S. 4. 2 Zitiert nach Reiner Bernstein: Zwischen Emanzipation und Antisemitismus - Die Publizistik der deutschen Juden am Beispiel der »C.V.-Zeitung« [...]. Diss. phil. FU Berlin 1969, S. 16f. Vili Vorwort tion und Assimilation einerseits, jüdischer Identität andererseits im Medium der jüdischen Presse besonders intensiv diskutiert werden können. Position und Gegenposition stehen sich im Medium selbst unmittelbar oder mittelbar direkt gegenüber oder werden aus der generellen programmatischen Ausrich- tung bestimmter Organe deutlich (etwa religiös orthodox, konservativ oder liberal, kulturzionistisch, nationalzionistisch, sozialistisch). Alle möglichen Positionen sind zuerst - tentativ oder programmatisch - in der jüdischen Presse diskutiert worden, ehe sie in selbständigen Veröffentlichungen ausführlich dargestellt wurden. Anders als in den übrigen Projekten des Forschungs- schwerpunkts ging es im Aachener Projekt also weniger um Fragen der Litera- tur als eines sprachlich-ästhetischen Gegenstands, sondern um diskursive Selbstverständigungsprozesse einer wichtigen Gruppe unter den Bedingungen politischer und kultureller Modernisierung. Die unzureichende Erschließung der Periodika und ihre partiell defizitäre Präsenz in den erreichbaren Bibliotheken war für die Aachener Projektgruppe ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis bei der inhaltlichen Arbeit.3 Daß unter dieser Voraussetzung keine Monographie mit dem Anspruch auf eine systema- tische Darstellung entstehen konnte, ist einsehbar. Die folgenden Beiträge behandeln verschiedene Problemfelder, wobei entweder der Blick auf einzelne Zeitschriften gerichtet oder - wie in den beiden umfangreichsten Beiträgen - die Debatte über zentrale Themen in möglichst vielen unterschiedlichen Peri- odika dargestellt wird. Der erste Beitrag konzentriert sich auf die intensive Mediendebatte über >Zionismus< im Umfeld des ersten Zionistenkongresses in Basel. Herzls Pro- pagierung einer Staatsgründung in Palästina sorgte für Aufsehen. Die Publika- tion des »Judenstaats« und die Einberufung eines Zionistenkongresses provo- zierte - gefördert durch geschickte public relations - Widerspruch und Zu- stimmung auch in der deutsch-jüdischen Presse. Die von Herzl begründete pro- grammatische Wochenschrift »Die Welt« stellte für ihn ein geeignetes Medi- um dar, um die Wirkungsabsichten der Zionisten darzulegen und auf gegneri- sche Stellungnahmen zu reagieren. Schon im Vorfeld des Ersten Zionisten- kongresses entwickelte sich eine umfängliche und facettenreiche Diskussion, die Befürworter wie Gegner des >Zionismus< zwang, jüdisches Selbstbewußt- sein und jüdische Selbstwahrnehmung neu zu definieren. Ideologische Diskus- sionen der Begriffe Vaterland, Staat, Staatsbürger, Nation, Stamm, Volk, Reli- gion mischten sich mit politisch-strategischen Aussagen, die sich auf die aktu- ellen Ereignisse bezogen. Auf beiden Diskussionsfeldern sind die >traditionel- 3 Mittlerweile wird in Kooperation des Aachener Lehr- und Forschungsgebiets Deutsch- jüdische Literaturgeschichte mit der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main sowie der Bibliothek Germania Judaica Köln, ebenfalls gefordert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Digitalisierung jüdischer Periodika im deutschsprachigen Raum vorangetrieben (Webadresse: www.compactmemory.de). Damit ist für den Bereich der Jüdischen Studien ein unkomplizierter Zugriff auf die- ses Quellencorpus möglich, wie er bisher kaum vorstellbar war. Vorwort IX len Lager< der Orthodoxie und des Reformjudentums nicht klar gegeneinander abzugrenzen, was verdeutlicht, daß die Meinungen sich zu dieser Zeit - in der öffentlichen Diskussion der Periodika - neu herausgebildet haben. Liest man diese Zeitschriften nicht mit dem Blick der Nachwelt auf der Suche nach histori- schen Belegen, sondern würdigt sie als ein bedeutendes zeitgenössisches Infor- mations- und Propagandainstrument, so wird deutlich, daß sie die Ereignisse sowohl gespiegelt als auch beeinflußt haben. Dies gilt auch fur solche Periodika, die im Laufe eines Jahrhunderts in Gefahr gerieten, vergessen zu werden. Der zweite Beitrag thematisiert die zentrale Debatte über die >Ostjuden< in einem entscheidenden Stadium der deutsch-jüdischen Geschichte, nämlich im Ersten Weltkrieg. Dabei offenbart der Streit über das bessere Judentum nicht nur die Gräben, die Ost und West voneinander trennten, sondern auch die Heterogenität resp. Zerstrittenheit innerhalb der deutschsprachigen Judenheit. Die Orthodoxen demonstrieren hier das höchste Maß an Identifikation mit den Ostjuden; Liberale und Zionisten bekunden gleichermaßen tiefe Gefühle der Verbundenheit und Sympathie. Während Orthodoxe nur selten und auch dann nur vorsichtig kritisieren, gibt es bei den Zionisten in einzelnen Punkten schar- fe und polemische Kritik; absolut distanzierende Positionen finden sich aller- dings nur bei den Liberalen. Liberale und Zionisten versuchen in ihrer Presse, das Entwicklungspotential der Ostjuden einzuschätzen; die einen im Sinne der westlichen >Zivilisation<, die anderen im Sinne der Palästinatauglichkeit. Die orthodoxe Presse ist zwar diejenige, die am unmißverständlichsten ihre Solida- rität mit den Juden im Osten zum Ausdruck bringt, aber auch hier klingt eine gewisse Bevormundung an. Spätestens in Folge der berüchtigten Judenzählung im Heer im Oktober 1916 gibt es allerdings eine gewisse Annäherung der Standpunkte vom zionistischen bis hin zum liberalen Lager: Ernüchtert mußten auch die Westjuden feststellen, daß sich für Antisemiten der Unterschied zwi- schen ihnen und den >Ostjuden< völlig einebnete zugunsten eines Konstrukts des >Juden< schlechthin, der in jedem Fall zu bekämpfen war. In den beiden kürzeren Beiträgen geht es - im Sinn der trilateralen Frage- stellung - um unterschiedliche Stimmen im Weltkrieg: zum einen um die in Frankfurt am Main erscheinenden orthodoxen »Jüdischen Monatshefte«, das religiös konservative »Jüdische Jahrbuch für die Schweiz« und die in Wien publizierte gemäßigt orthodoxe Unabhängige Zeitschrift für jüdische Interes- sen »Die Wahrheit«, zum andern um die zionistische Unabhängige jüdische Wochenschrift »Selbstwehr« in Prag. Der Vergleich zwischen diesen Organen zeigt deutlich die Abhängigkeit der Positionen von der jeweiligen Lage im Weltkrieg in Relation zur politischen Situation der drei Länder Deutschland, Österreich und Schweiz. Es ist schon erstaunlich, wie sehr die religiös und politisch unterschiedlichen deutschen und österreichischen Organe sich zu Beginn des Weltkriegs im Enthusiasmus fur die vaterländische >deutsche< Sache finden - im Sinn der Feststellung Mordechai Breuers, daß sich nicht nur die liberale, sondern gerade auch die orthodoxe und zionistische Presse an χ Vorwort patriotischen Bekundungen von niemandem übertreffen lassen wollte.4 Wäh- rend die »Monatshefte« in Frankreich den Hauptfeind deutschen Wesens aus- machten, war es für »Die Wahrheit« England, das als größter Feind der deut- schen Kultur galt. In der Abneigung gegenüber dem russischen Zarenreich als dem sichtbarsten Hort des Antisemitismus traf man sich dann wieder. Daß sich das Schweizer Organ mit solchen Positionierungen merklich zurückhielt, ist verständlich - hier dachte man über die Grenzen der kriegsbeteiligten Länder hinaus an alle Juden, die nun unter dem Krieg und seinen Folgen zu leiden hatten. Nach der >Judenzählung< im Oktober 1916 freilich, die wie ein Schock nicht nur auf die Juden im Deutschen Reich gewirkt hat, reagierte die jüdische Presse insgesamt enttäuscht und desillusioniert - nun sprach man, gelegentlich sogar in einer Art dissimilatorischer Absicht, immer häufiger von Juden und Deutschen als zwei unterschiedlichen Völkern, ohne allerdings bereits die radi- kale Konsequenz zu ziehen, daß sich diese Völker auf jeden Fall auch kulturell und national zu trennen hätten. Palästina, ein Land, das als Erez Israel seit je größte Verehrung erfuhr und durch die Balfour-Deklaration vom November 1917 auch als nationale Heimstätte von Juden aus aller Welt einen neuen Stel- lenwert gewann, bestimmte nun zunehmend das Interesse der jüdischen Presse, ohne daß die Probleme in den jeweiligen Ländern, insbesondere ein gegen Ende des Weltkrieges massiv ansteigender Antisemitismus, aus den Augen gerieten. Die jüdische Presse, das sollten die auf punktuelle Fragen gerichteten Bei- träge dieses Bandes zeigen, erweist sich als sehr aktuelles und genaues Medi- um fur zentrale Debatten über jüdische Fragen, die die Juden von der Jahrhun- dertwende bis zum Ersten Weltkrieg bewegt haben. Absicht war es nicht, ein Fazit aus diesen Debatten über den Ersten Zionistenkongreß, die >Ostjudenfra- ge< und die Stellung zum Krieg zu ziehen - dies ist in zahlreichen historischen Arbeiten bereits geschehen -, sondern die widersprüchlichen Einzelheiten der Argumentation gleichsam in actu vorzufuhren, aus denen sich dann eine be- stimmte Position erst herauskristallisieren ließ. Herzlich zu danken habe ich neben den Beiträgern dieses Bandes allen Hel- fern, die wesentlichen Anteil am Gelingen des Projekts haben: Doris Vogel fur die kontinuierliche Betreuung der Datenbank sowie die Erstellung der Druck- vorlage, Dorothee Ermold und Susanne Schanz f fur ihre Hilfe bei der Doku- mentation. Aachen, im April 2003 Hans Otto Horch 4 Mordechai Breuer: Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871-1918. Die Sozi- algeschichte einer religiösen Minderheit. Frankfurt a.M.: Jüdischer Verlag bei Athe- näum 1986, insbes. S. 342-350.

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