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Philosophien der Pluralisierung. Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy PDF

238 Pages·2020·1.849 MB·German
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Preview Philosophien der Pluralisierung. Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy

Philosophien der Pluralisierung Ralf Gisinger Philosophien der Pluralisierung Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Gefördert vom Land Vorarlberg. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2020 Wilhelm Fink Verlag, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-7705-6521-4 (hardback) ISBN 978-3-8467-6521-0 (e-book) Inhalt Einleitung ........................................................ IX 1. Eine noch zu begründende Beziehung: „Zwischen“ Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy ............................................... 1 1.1 Bi(bli)ographische Verortungen ............................... 1 1.1.1 Jean-Luc Nancy (1940*) – Praxis des Sinns und der Gemeinschaft ......................................... 1 1.1.2 Gilles Deleuze (1925–1995) – Philosophie an ihren Rändern ............................................. 6 1.2 Berührungen. Deleuze|Nancy oder „eine fremdartige Nähe“ ..... 9 1.3 Auf dem Weg der Pluralisierung – Prämissen, Programm und Methoden ................................................... 12 1.3.1 Prozeduren und Topoi und eines Denkens der Pluralisierung ........................................ 12 1.3.2 Eine Frage der Methode: Sprache im Spannungsfeld von Geschichtlichkeit, Stil, Vereinheitlichung und Übersetzung .......................................... 17 1.3.3 Erste politische Kontexte zwischen Deleuze und Nancy: Mai 1968 und Marxismus ....................... 24 2. Philosophien der Pluralisierung? .................................. 29 2.1 Einheit und Vielheit. Bestimmung eines strukturbildenden Verhältnisses ................................................. 29 2.1.1 Ideengeschichtlicher Abriss: Von Platon bis Hegel ........ 29 2.1.2 Pluralismus, Pluralität, Pluralisierung – eine Begriffsunterscheidung ................................ 38 2.2 Pluralisierung I: Mannigfaltigkeit – Gilles Deleuze .............. 44 2.2.1 Entfaltung der Mannigfaltigkeit ........................ 44 2.2.1.1 Verortung des Begriffs und seine Verwendung in der Philosophie ............................ 44 2.2.1.2 Von Riemann zu Bergson (und zurück)  ........ 47 2.2.2 Vervielfältigung. Pluralisierung des Dualismus .......... 54 2.2.2.1 Überwindung der Dualismen durch die Mannigfaltigkeit. Die Zwei bei Deleuze ......... 54 2.2.2.2 Kartographie der Mannigfaltigkeiten . .......... 58 vi Inhalt 2.2.3 Deleuzes Mannigfaltigkeiten und seine Ontologie der Immanenz ........................................... 60 2.2.3.1 Univozität und Immanenz oder: Wie sich das Sein aussagt ............................... 60 2.2.3.2 Auf der Immanenzebene. Die Immanenz als Kriterium der Philosophie ..................... 64 2.2.3.3 Variationen der Immanenzebene – Einzug der Mannigfaltigkeit .............................. 67 2.3 Pluralisierung II: Singulär plural sein – Jean-Luc Nancy. Eine plurale Ontologie ........................................ 70 2.3.1 Heidegger und die Auslegung des Mit-seins .............. 70 2.3.2 Singularität und ihre Pluralität . ........................ 74 2.3.2.1 Die Abgrenzung der Singularität von der Individualität . ................................ 74 2.3.2.2 Warum ist die Singularität plural? ............. 75 2.3.2.3 Konsequenzen: singulär-plurales Sein .......... 78 2.3.3 Mit-sein als fundamentale ontologische Kategorie oder: Die Zurückholung des Mit aus seiner Mit-seinsvergessenheit. ................................ 80 3. Grundlegung für ein Denken des Politischen bei Nancy und Deleuze ...................................................... 85 3.1 Ouverture: Figurationen des Politischen ....................... 85 3.1.1 Das Politische und die Politik. Versuch einer Differenzierung ....................................... 85 3.1.1.1 Warum vom Politischen sprechen? ............ 85 3.1.1.2 Die Konstruktion der politischen Differenz ..... 89 3.1.2 Das Politische im Fokus von Jean-Luc Nancy. Der Weg zum gemeinsamen Sein ....................... 92 3.1.2.1 Das „Centre de Recherches Philosophiques sur le politique“ – Einflüsse von Derrida, Lacoue-Labarthe und Lefort ................... 92 3.1.2.2 Der Rückzug des Politischen im Angesicht des gemeinsamen Seins ....................... 95 3.2 Gemeinschaft ohne Grund? Nancys Ontologie des Mit-seins .... 101 3.2.1 Eröffnung des gemeinsamen Seins ...................... 101 3.2.2 Die Verortung von Nancys dekonstruierendem Gemeinschaftsdenken in Abgrenzung zu individuums- basierten und kommunitaristischen Positionen .......... 103 Inhalt vii 3.2.3 „Wir“ erscheinen: Die ontologischen Bedingungen eines neuen Bilds der Gemeinschaft ..................... 106 3.2.3.1 Ko-Existenz und die Teilung des Seins . ......... 106 3.2.3.2 Zusammen-Sein als ontologische Grundstruktur ................................ 108 3.2.4 Nancys Sozialontologie im Widerhall: Zwischen Ethik und Ontologie, Politik und Philosophie ............. 111 3.2.4.1 Das Verhältnis von Ontologie und Ethik im Gespräch mit Levinas: Mit-sein als Opposition zum Denken des Anderen ..................... 111 3.2.4.2 Tendenzen der Entpolitisierung bei Nancy? .... 114 3.3 Deleuziansches Werden des Politischen. Zwischen Mikropolitik und Makropolitik ................................ 117 3.3.1 Politik, Philosophie, Nicht-Philosophie ................... 117 3.3.1.1 Die Bedingungen im Inneren der Philosophie: Vor- und Nicht-Philosophisches ............... 117 3.3.1.2 Was ist das Politische bei Deleuze? . ............ 121 3.3.2 Mikropolitik als Paradigma des Politischen .............. 127 3.3.2.1 Majoritär/Minoritär und Minoritär-Werden .... 127 3.3.2.2 Dimensionen des Politischen: Molar- Molekular sowie Linien und Segmente ......... 133 3.3.2.3 Fluchtlinien der politischen Ökonomie: Kapitalismus. Marxismus. Revolution. ......... 141 4. Politische Pluralisierungen als geteilte Differenzen. Deleuze mit Nancy . ............................................... 157 4.1 Die Pluralisierung von Subjekten und Individuen. Individuierung und Subjektivierung als neue Parameter ........ 157 4.1.1 Problemstellung und Übergang zu Fragen der Subjektivität und Identität ............................. 157 4.1.2 (Ent-)Subjektivierungen. Was ist noch Subjekt?. .......... 162 4.1.3 Individuierung: Haecceïtas und „ein Leben …“ ........... 165 4.1.4 Teilungen: Von Gruppensubjekten und der Dividualität . .. 168 4.2 Welche Politik? Konsequenzen der Pluralisierung .............. 171 4.2.1 Pluralisierung und Mikropolitik – Vervielfältigung und Verschiebung ..................................... 171 4.2.2 Das Politische im Spannungsfeld von Macht und Subjektivierung ....................................... 175 4.2.3 Topologische Verräumlichung: Affekte, Körper, Verteilung ............................................ 181 viii Inhalt 4.3 Beziehung als Paradigma der Pluralisierung: Über die Relationalität mit Nancy und Deleuze ......................... 185 4.3.1 In der Mitte beginnen ................................. 185 4.3.2 Zwischen beziehungsweise UND. Verkettende Konnexionen ......................................... 187 4.4 Schlussbemerkung: Zusammenfassung und Perspektiven . ...... 191 4.4.1 Wiederholungen als Wiederaufrufen und Zurückholen der Fragen: Ein Resümee . .............................. 191 4.4.2 Minoritär-Werden. Politische Praxis zwischen Identitätspolitik und Universalismus? ................... 194 5. Literaturverzeichnis .............................................. 201 5.1 Siglenverzeichnis der Monographien .......................... 201 5.1.1 Deleuze et al. ......................................... 201 5.1.2 Nancy et al.  .......................................... 202 5.2 Sonstige Literatur von Deleuze und Nancy: Aufsätze, Artikel, Vorträge, Gespräche, Essays …  ................................ 203 5.2.1 Deleuze .............................................. 203 5.2.2 Nancy  ............................................... 206 5.3 Sekundärliteratur  ............................................ 207 Einleitung Was will dieses Wuchern von uns, das keinen anderen sichtbaren Sinn hat als eine unbestimmte Vervielfachung zentrifugaler Sinne, die dann keinen Sinn mehr haben oder jedenfalls auf nichts anderes mehr verweisen als auf ihre eigene Schließung am Horizont ihrer Aneignung, und die außerhalb nichts mehr vertreten als Destruktion, Hass und Negation der Existenz? Und wenn diese autistische, zerreißende und zerrissene Vielheit uns ankündigen wollte, dass wir noch nicht zu entdecken begonnen haben, was es mit dem Zu-mehreren-sein auf sich hat, wo doch die ‚terre des hommes‘ nichts anderes ist als dies? Wenn sie uns also ankündigen wollte, dass sie selbst das erste Mal entblößt dasteht als Welt, die nichts als Welt ist, absolut und ohne Rückhalt, ohne jeden Sinn außer- halb dieses Selbstseins: auf einzigartige Weise vielfach und auf vielfache Weise einzigartig, singulär plural und plural singulär? (Jean-Luc Nancy, SPS, 11) Was Nancy hier figurativ beschreibt, um seine Auffassung des singulär-pluralen Verhältnisses zu illustrieren, bildet die thematische Leitlinie des vorliegenden Buchs, das sich mit verschiedenen Dimensionen der „Pluralisierung“, vor- nehmlich im Ausgang von den beiden französischen Philosophen Jean-Luc Nancy und Gilles Deleuze, beschäftigt. Sich der Vervielfältigung auszusetzen, wenn die Ambivalenzen der Vielheit geradezu alltäglich auftreten, bedeutet stets ein Oszillieren zwischen Vielfalt als Faktum sowie wünschenswertem Ziel, fernem Phantasma und beklemmendem Phantom, Machteinrichtung oder bloß vorgeschobener Chiffre. Das von Nancy beschriebene Wuchern der Vervielfachung tritt als pluralisierende Befreiung, gepaart mit einem Unbehagen, auf: Die emanzipierende Bewegung aus statischen Kategorien des Einen wird stets mit der Rückholung und Einhegung in eindeutige Begriffe der Repräsentation und der Identität konfrontiert. Nancys „zerreißende und zerrissene Vielheit“ wieder einzufalten oder deren Brüche und Risse zu kitten, um die (scheinbaren) Einheiten und Eindeutig- keiten (und seien sie Gegensätze!) wiederherzustellen, vermag aber nie ganz zu gelingen, da diese in ihrem „Ursprung“ schon plural sowie disloziert sind. Ein ähnlicher Gestus der Vervielfachung offenbart sich durchgängig im Werk von Gilles Deleuze und obgleich Deleuzes/Guattaris Imperativ „Seid weder eins noch multipel, seid Mannigfaltigkeiten!“ (TP, 41) noch seiner Aktualisierung harrt, hat die Kraft ihrer Rhizome und Mannigfaltigkeiten nichts von ihrer Wirkmächtigkeit und Radikalität verloren und gibt nach wie vor Anlass, ihre Forderungen an das Denken und die Philosophie aufzugreifen, zu wiederholen, wuchern zu lassen. Die Pluralisierung in ihrem vollen Sinne voranzutreiben, heißt aber auch, nie bei einem fertigen Bild stehenzubleiben, sich nicht in einem behaglichen, widerspruchsfreien Pluralismus einzurichten, x Einleitung welcher Einheit (des Staats, des Kapitalismus, der Religion(en), Kultur(en) usw.) stiftet und auf den sich jeder gesunde Menschenverstand (vgl. DW, 284) berufen kann, sondern vielmehr der ständigen Bewegung der Pluralisierung, ihrem Auseinanderstreben und Auseinanderbersten, stattzugeben. ∵ In der Mitte beginnen. Was könnte es heißen, von „Pluralisierung“ an sich auszu- gehen? Die Konzeptualisierung eines Denkens der Pluralisierung steckt schon in der Begriffsbildung die Bedingungen und Grenzen des Terrains ab, auf dem sich die Überlegungen dazu bewegen. So legt die Konstruktion des Begriffs per se die Vereinheitlichung eines Denkens nahe, welches eigentlich allzu schnelle Identifizierungen unterlaufen will und von der Vielheit, der Differenz oder der Mannigfaltigkeit ausgeht. Genau in dieser Ambivalenz scheint sowohl die Faszination als auch das Potential des Pluralen zu liegen, weshalb es in gegenwärtigen philosophischen Diskursen für verschiedenste Autor*innen thematisch wird (vgl. van der Heiden 2015, 2). Die Perspektiven auf das Plurale gestalten sich ihrerseits vielfältig: Pluralität als Grundstruktur des Seins oder der vielfältigen Erscheinungen/Episteme, als eine modifizierte Sicht auf das Verhältnis von Einheit und Vielheit in einem ontologischen Sinne oder etwa als eine vervielfältigende Entgegensetzung zu Konzepten wie Identität oder Gemeinschaft. Die nachstehende Studie zeichnet das Plurale vornehmlich anhand der Philosophien von Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy nach, die in ihren Texten verschiedene Dimensionen von Pluralisierung(en) hervorbringen und be- leuchten. Ihre Versuche, Pluralisierung zu denken, begreife ich dabei als Formen philosophischer Problematisierungen des Verhältnisses von Einheit und Viel- heit. Die Bestimmung von Parallelen, Differenzen sowie Konfrontationen im Feld zwischen Deleuze und Nancy hinsichtlich Einheit und Vielheit lassen dabei vor allem ihr Denken des Politischen konvergieren und rücken allgemein die Implikationen für das Politische in den Fokus.1 Die zentrale Frage lässt sich somit, zwar verkürzt, aber doch wie folgt zusammenfassen: Wie lässt sich „Pluralisierung“ ausgehend vom Denken Jean-Luc Nancys („singulär plural sein“) sowie Gilles Deleuzes („Mannigfaltig- keiten“) im Hinblick auf das Politische bestimmen? 1  Warum ich hier vom „Politischen“ und nicht von „Politik“ spreche, liegt an der Frage der so genannten politischen Differenz, welche unter anderem von Nancy aufgeworfen und die vor allem in Kapitel 3.1 diskutiert wird.

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