info1 10 1/2012 Zeitung der PoliZei BrandenBurg 20 JAHRe „Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe auch Straftaten zu verhüten …“ Brandenburgisches Polizeigesetz (BbgPolG) zwei JAHRzeHnte POLizei BRAnDenBURG sonderausgabe 22 edITorIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, 1991, im offi ziellen Gründungsjahr der Brandenburger Polizei, war ich zwölf Jahre alt. Ich kann mich nur unscharf an die Zeit des Umbruchs, an viele Verän- derungen, erinnern. Ich denke an Unsicherheit und Gespräche meiner Eltern – ob und wie es nun weitergeht, mit der Arbeit, den Kindern… – schließlich war exakt in der Nacht, in der die Mauer fi el, mein kleiner Bruder geboren worden. Als ich sieben Jahre später Polizistin wurde, habe ich nicht darüber nachge- dacht, dass auch meine Kolleginnen und Kollegen diesen Umbruch erlebt haben. Privat – vor allem aber berufl ich – waren grundlegende Veränderungen eingetre- ten. Manchmal habe ich von den „alten Hasen“ Geschichten von früher gehört. „Früher“ – das war für meine Kollegen dann oft die Zeit vor der Wende und die bewegten Monate nach dem Mauerfall. Wehmut habe ich selten herausgehört, ich hörte eher Stolz – darauf, diese spannende Zeit hautnah miterlebt zu haben. Aber nicht nur in der Zeit der Wende, auch in den zwei Jahrzehnten nach der Gründung der Brandenburger Polizei begleitete der Wandel uns Polizisten Tag für Tag. In 14 Jahren Polizeidienst habe ich einige dieser Veränderungen selbst erlebt. Vie- les vom „davor“ kenne ich dagegen nur aus den Erzählungen meiner Kollegen. Bei der Arbeit an dieser Ausgabe wurde mir bewusst, dass auch ich schon einiges von „damals“ erzählen kann. Einen Teil der Geschichte habe ich tatsächlich selbst erlebt. Das Wissen um die Anfänge und den Wechsel in der Brandenburger Polizei schafft Verständnis für das, was ist, und das, was kommen wird. Eben deshalb ist ein Rückblick immer sinnvoll, das „hier und jetzt“ wäre ohne das „damals“ nicht. Ich lade Sie ein, liebe Leserinnen und Leser, mit dieser Ausgabe der info110 auf Reise zu gehen. Durchreisen Sie die Zeit vor Ihrem ersten Dienstantritt oder Ihre ersten Jahre als Polizist. Ich bin mir sicher, dass Sie viele der Berichte und Bilder zum Lächeln bringen werden. An manchen Stellen werden Sie nicken – „Ja, so war das“ werden Sie sagen, andere Beiträge werden Sie nachdenklich machen, auch betroffen. Beim Stöbern in über zwanzig Jahren Polizeigeschichte wünsche ich Ihnen viel Freude. Vielleicht ist es Anlass genug, bei nächster Gelegenheit genauer zuzuhö- ren, wenn ein Kollege von „damals“ erzählt. Ihre Katrin Laurisch info110-Chefredakteurin Herausgeber Ministerium des ISSN 14307669 21. Jahrgang, Nr. 1/2012 Innern des Landes Brandenburg Layout Rosenfeld.MRDesign Aufl age 7.000 Redaktion Ingo Decker (verantw.), Druck Landesvermessung und Redaktionsschluss 30.11.2012 Katrin Laurisch Geobasisinformation Brandenburg Wir danken allen Verfasserinnen und Verfassern Anschrift HenningvonTresckowStraße 9–13 Fotos: Michael Richter/Projektfoto, für die in dieser Ausgabe veröffentlichten 14467 Potsdam Jan Wischnewski, Polizei Brandenburg Beiträge. Die mit Namen versehenen Beiträge Telefon: (0331) 866–2069 Medienzentrum FHPol, Archiv geben nicht in jedem Fall die Meinung der eMail: [email protected] Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich www.polizei.brandenburg.de/info110 das Recht der Kürzung von Beiträgen vor. INHALT 33 Am 1. Novemver 1991 ging Brandenburgs neue Polizei organisation an den Start. 1991 gilt damit als offizielles Gründungsjahr der brandenburgischen Polizei. Die info110 nimmt dies zum Anlass und widmet diese Ausgabe den zwei Jahrzehnten der brandenburgischen Polizei. Inhalt 20 JAHre PoLIzeI BrANdeNBurg Grußwort von Matthias Platzeck 4 Ministerpräsident des Landes Brandenburg Grußwort von Dietmar Woidke 5 Minister des Innern des Landes Brandenburg Strukturen der Polizei vor der Wende 6 Außer der Volkspolizei unterstanden dem MdI auch Feuerwehr und Strafvollzug Neustart mit einer Handvoll Leuten 8 Auf dem Weg der Wende, Bereitschaftspolizist 1992: Bundespräsident besucht Andre Elsaßer blickt zurück Polizeischule SEITE 18 „Sofort und unverzüglich“ 10 Lange Schlangen und die polizeiliche Reaktion auf die neue Reiseverordnung Eine Gewerkschaft 11 für Angehörige der DVP „Wir machen jetzt Demokratie!“ 12 Brandenburgs erster Innenminister Alwin Ziel über die Aufbaujahre 6 Fragen an … Uta Leichsenring – 14 eine ehemalige Polizeipräsidentin Verkehrspolizei in Brandenburg – 16 1995: Die Repos kommen gestern und heute SEITE 44 Verkehrspolizist Klaus Rudolph erinnert sich In Deinem Abschnitt bist Du 18 zuständig und musst immer ran Manfred Klingbeil – ein Revierpolizist erinnert sich Holzspäne, Klebemasse 19 und 2,5 Mio US Dollar Aus einem Diebstahl eines Friedrich-Gemäldes folgt die Suche nach dem Bernsteinzimmer Aufbauhelfer in Potsdam 22 Politisch-juristische Entwicklung 24 und die Auswirkungen auf die Polizei 1997: Oder-Hochwasser SEITE 51 1989–1992 Chronik der Jahre 1999–2011 27 Start ins dritte Jahrzehnt 106 4 20 JAHre PoLIzeI BrANdeNBurg Grußworte für die Sonderausgabe info110 aus Anlass des 20jährigen Bestehens der Brandenburger Polizei Liebe Leserinnen und Leser, rund 20 Jahre brandenburgische Polizei seit über zwei Jahrzehnten sorgen Sie für Sicher heit und Ordnung in unserem Land. Dies waren bewegte Jahre für die „alten Hasen“ in der Polizei und jeden Einzelnen in Brandenburg. Wir haben vieles erreicht in dieser Zeit. Unsere Polizistinnen und Polizisten haben in pfl ichtbewusster, harter und auch gefähr licher Arbeit Brandenburg zu einem sicheren Land gemacht. Und das wird es bleiben. Dabei haben sich seit der friedlichen Revolution ja nicht nur die Strukturen der Polizei, sondern auch die der Gesellschaft, in der wir leben, geändert. Die Aufgaben sind dabei breiter geworden, die Polizei und Staatsanwaltschaften immer wieder zum Handeln ver anlassen. Ich denke an die bekannt gewordenen Fälle von Umweltkriminalität oder die Bekämpfung der Korruption. Gerade Bestechlichkeit und Bestechung müssen im Keim erstickt werden, weil sie sonst Staat und Gesellschaft dauerhaft schwer beschädigen. Recht und Gerechtigkeit sind Werte, die für den Zusammenhalt einer Gesellschaft un abdingbar sind. Ihre Verteidigung steht an erster Stelle. Die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten ist deshalb das starke Rückgrat unserer rechtsstaatlichen Ordnung. Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind nach wie vor die Ansprechpartnerinnen und Ansprech partner für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ob in der Fläche oder in der Stadt! Die Welt um uns herum ist in Bewegung, darauf müssen wir auch künftig reagieren. Still stand wird nicht von Erfolg gekrönt. Deshalb wurde im vergangenen Jahr die Polizeire form in Gang gesetzt. Mein politisches Ziel ist und bleibt es, zukunftsfeste Strukturen zu schaffen, die lange tragen werden. Brandenburg soll auch in Zukunft ein sicheres Land sein. Ich bin überzeugt davon, dass die Reform mit Ihrer Hilfe und Kompetenz erfolgreich umgesetzt werden wird. Auch für die kommenden Jahre wünsche ich Ihnen ganz persönlich Gesundheit und trotz aller Belastungen, auch für Ihre Familien, Freude an Ihrem Beruf. Ihre Arbeit ist Dienst an unserer Gesellschaft. Dafür danke ich Ihnen sehr! Ihr Matthias Platzeck Ministerpräsident des Landes Brandenburg 20 JAHre PoLIzeI BrANdeNBurg 5 Liebe Leserinnen, liebe Leser, 1991 gilt wegen der Einrichtung der ersten Polizeipräsidien als offi zielles Gründungsjahr der brandenburgischen Polizei. Die info110 nimmt dies zum Anlass und widmet diese Sonderausgabe der Geschichte der brandenburgischen Polizei. Mehr als 20 Jahre Polizei Brandenburg – ereignisreiche Jahre, deren bewegte Anfänge si cher Vielen von uns noch in Erinnerung sind. Natürlich hat nicht jeder von Ihnen diese Zeit unmittelbar erlebt oder ist gar seit zwei Jahrzehnten Polizist. Einige Auszubildende der Brandenburger Polizei waren 1991 noch nicht geboren. Sie sind bereits „Nachwende kinder“. Was langjährige Kollegen hautnah miterlebten, kennen die „Jungen“ nur aus Büchern, Fernsehen und Erzählungen. Mit der friedliche Revolution und den Veränderungen der Wendezeit brach auch für die Polizei eine Zeit des Wandels an. Und dieser Wandel, die Veränderungen, auch die Zustände vor dem Mauerfall – sollen lebendig bleiben. Es ist wichtig, um die Vergangen heit zu wissen, denn ohne Rückbesinnung fehlt der Blick für das Heute. Seit zwei Jahrzehnten sorgen Sie rund um die Uhr für Sicherheit in Brandenburg oder unterstützen in Verwaltungs und Servicebereichen den Einsatz Ihrer Vollzugskollegen. Unsere moderne und dynamische Polizei lebt von ihren Mitarbeitern. Für Ihre schwie rige und nicht selten auch gefährliche Arbeit verdienen Sie unser aller Respekt und Anerken nung. Über zwanzig Jahre geben jede Menge interessanten Stoff her, man könnte sicher meh rere Bücher darüber schreiben. Lassen Sie uns mit dieser Ausgabe gemeinsam Rückschau halten auf diese interessante Zeit. Ihr Dietmar Woidke Minister des Innern des Landes Brandenburg 6 20 JAHre PoLIzeI BrANdeNBurg Strukturen der Polizei vor der Wende Für die öffentliche Sicherheit und Ordnung war das Ministerium des Innern der DDR zuständig. Außer der Volkspolizei unterstanden dem MdI auch Feuerwehr und Strafvollzug. Zur Deutschen Volkspolizei, (DVP) Die Kreisämter wurden je nach Grö- Struktur der VPKÄ die durch den Chef der Volkspolizei ße und Bedeutung in drei Kategorien geführt wurde, gehörten die Schutz- eingeteilt. So fiel das VPKA Potsdam in Unterhalb der Leitungsebene gab es im polizei, die Verkehrspolizei, die Kri- die höchste Kategorie. VPKA folgende Aufgabenbereiche: minalpolizei mit den Kommissaria- Am Beispiel des VPKA Oranienburg ■ Die Kriminalpolizei mit Kommissaria- ten 1 bis 9, die Transportpolizei, das wird die Struktur der DVP dargestellt. ten mit vergleichbaren Aufgaben wie Pass- und Meldewesen und der Be- Das VPKA Oranienburg war ein VP- heute sowie Sonderaufgaben, die im triebsschutz. Sie hatte damit ungleich KA der Kategorie II. Es hatte einen Per- Zusammenhang mit dem sogenannten mehr Aufgaben als die heutige Lan- sonalbestand von ca. 640 Angehörigen Schutz der Staatsgrenze und dem Zu- despolizei. und Zivilbeschäftigten. sammenwirken mit dem Ministerium Die wesentlichsten Aufgaben bestan- für Staatssicherheit (MfS) bestanden. Die Offiziere der VP, die vergleich- den in: ■ Die Schutzpolizei mit Revieren, den bar mit den heutigen Laufbahnen des ■ der Gewährleistung der Öffentlichen Zentralen Kräften Schutzpolizei, den gehobenen und höheren Dienstes sind, Ordnung und Sicherheit Gruppenposten der Abschnittsbe- trugen militärische Dienstgradbezeich- ■ dem Schutz der Staatsgrenze vollmächtigten und dem Offizier Er- nungen wie beispielsweise „Leutnant ■ dem Schutz der Volkswirtschaft laubniswesen. der VP“. ■ dem Schutz der Transitwege zu Lan- ■ Die Verkehrspolizei mit der Verkehrs- In jedem der damaligen 14 Bezirke de und zu Wasser unfallbereitschaft, der KFZ-Zulassung der DDR gab es eine Bezirksbehörde ■ der Erfüllung von Aufgaben im Rah- und Fahrerlaubniswesen, der Verkehrs- der Deutschen Volkspolizei (BDVP), men der Landesverteidigung erziehung, den Verkehrsüberwachern im späteren Brandenburg waren dies ■ der Ausbildung der Kampfgruppen und dem Hilfssachverständigen. die BDVP Potsdam, die BDVP Frank- der Arbeiterklasse ■ Die Feuerwehr mit der Abteilung und furt (Oder) und die BDVP Cottbus. Die ■ der Ausbildung der Brandschutzein- dem Kommando Feuerwehr, Bezirke waren ihrerseits in Kreise ge- heiten. ■ Strafvollzug mit einer Untersuchungs- gliedert. In jedem dieser Kreise bestand An der Spitze stand der Leiter VP- haftanstalt (UHA), ferner ein Volkspolizeikreisamt (VPKA). In KA. Dieser hatte drei Stellvertreter: den ■ die Wasserschutzpolizei, Betriebs- den Orten und Stadtteilen gab es Ab- Stellvertreter des Leiters, den Stellver- schutz, schnittsbevollmächtigte (ABV). Zur treter des Leiters und Stabschef sowie ■ das Pass- und Meldewesen, die Ver- Unterstützung hatte die DVP freiwilli- den Stellvertreter des Leiters für politi- sorgungsdienste, den Offizier für Aus- ge Helfer. sche Arbeit. und Weiterbildung, den Kaderoffizier sowie die Verkehrsgruppe Transit. Dienstgrad abzeichen der Volkspolizei 20 JAHre PoLIzeI BrANdeNBurg 7 VPKA der Kategorie I Leiter VPKA Kader Offi zier Leiter Feuerwehr Stellv. des Leiters Stellv. des Leiters Stellv. des Leiters Stabschef für politische und Versorgungs- und Operativ Arbeit (Polit) dienste Leiter Leiter Leiter Leiter Leiter Schutzpolizei Verkehrspolizei Verkehrsgruppe Kriminalpolizei Pass- und Transit Meldewesen Revierleiter Wasserschutz- polizei Anhand dieser Struktur ist zu er- die Mängel nicht beseitigt, führte dies zu Das Pass- und Meldewesen nahm kennen, dass eine Reihe von Aufgaben Konsequenzen (Ordnungswidrigkeiten- Aufgaben wie die Kreis-Melde-Kartei auch heute durch die Polizei des Lan- verfahren). Diese Rechte hatte auch die (KMK) oder Ausweis- und Visa-Ange- des Brandenburg wahrgenommen wird. Feuerwehr, die mit dem Betriebsschutz legenheiten wahr. Es war auch zustän- Andere Aufgaben fi nden sich in ande- sehr eng zusammenarbeitete. Grundla- dig für Wahllisten und Besucheranmel- ren Ministerien und bei den Landkrei- ge für deren Handeln war das Brand- dung aus Berlin-West und der BRD und sen oder werden durch private Sicher- schutzgesetz der DDR. fungierte als Ausländerbehörde. heitsdienste wahrgenommen, wie der Ein wichtiger Bestandteil der schutz- Schutz von Unternehmen. Alle Aufga- Erweiterte polizeilichen Aufgabenerfüllung waren ben in Verbindung mit dem sogenann- die Abschnittsbevollmächtigten. Sie be- Aufgabengebiete ten Schutz der Staatsgrenze und der arbeiteten leichte Straftaten wie Dieb- Zusammenarbeit mit dem MfS waren Neben dem Schutz der Betriebe wur- stähle und Körperverletzungen. Sie am Tag der deutschen Wiedervereini- den der Waldbrandschutz, der Schutz überwachten die Einhaltung der Mel- gung 1990 bereits Geschichte geworden. der Ernte und der Brandschutz in deordnung bei Besuchern aus dem so Es gab einige Aufgaben und Besonder- Wohnstätten durch Maßnahmen der genannten nichtsozialistischen Aus- heiten der DVP. So wurde zum Schutz Feuerwehr und teilweise des Betriebs- land. Sie erfüllten auch Aufgaben der der Volkswirtschaft der Betriebsschutz schutzes umgesetzt. Kriminal- und Verkehrsprävention und geschaffen. In für die Volkswirtschaft Die Untersuchungshaftanstalten des sanktionierten Ordnungswidrigkeiten. besonders wichtigen Betrieben bestan- Strafvollzuges waren direkt dem Leiter Bei der Schutz- und Verkehrspolizei den eigene Betriebsschutzdienststellen VPKA unterstellt. gab es Freiwillige Helfer der DVP, die mit einer Kriminalpolizei. Rechtlich war Die Verkehrsgruppe Transit war nur in ihrer Freizeit Teilaufgaben der bei- es war möglich den Leitern der Betriebe auf der sogenannten Transitstrecke der den Bereiche erfüllten. Aufl agen zu erteilen und Empfehlungen Autobahn mit einer sehr speziellen ■ LUTZ JAENICKE, zu geben. Durch Nachkontrollen wur- Aufgabenstellung in enger Zusammen- EHEMALS STELLV. DES LEITERS de deren Umsetzung überprüft. Wurden arbeit mit dem MfS tätig. VPKA ORANIENBURG UND STABSCHEF 8 20 JAHre PoLIzeI BrANdeNBurg Neustart mit einer Handvoll Leuten Auf dem Weg der Wende, Bereitschaftspolizist Andre Elsaßer blickt zurück viele Fragen. All das, was ich mir mit Sie wollten unser Land nicht zerstö- viel Ehrgeiz im Abitur und Studium an- ren, sondern es verbessern, freier und geeignet hatte, schien plötzlich irgend- demokratischer gestalten. So dachten wie nicht mehr zu stimmen. Dann gab auch viele meiner Wachtmeister im Zug es die ersten Demonstrationen für mehr und damit konnte auch ich mich, als Freiheit und Gerechtigkeit. Tausende sehr junger Offi zier, gut anfreunden. verließen über Ungarn und die Tsche- choslowakische Republik unser Land. Die erste sowjetische Zeitschrift, der „Es glaubte ja keiner, dass „Sputnik“, wurde verboten. Mir wur- die Grenze offen bleibt.“ de klar, dass sich etwas in Bewegung gesetzt hatte, das sich nicht mehr auf- halten ließ. Es konnten doch nicht alle Dann öffneten sich die Schlagbäume Konterrevolutionäre, Aufgehetzte oder und die Mauer wurde plötzlich für al- Kriminelle sein. le durchlässig. Wer hätte damit gerech- net? Selbstverständlich nutzte auch ich Auswirkungen auf die sofort die Gelegenheit, um zu sehen, wie die Menschen auf der anderen Seite Kasernierten Einheiten so leben. Schließlich herrschte da ja der „böse Kapitalismus“, der die Menschen Mit meinem Zug durfte ich keine ausbeutet und unterdrückt. Außerdem Schießausbildung mehr machen. Wir glaubte ja keiner daran, dass die offene fuhren nicht mehr in großen Kolonnen Grenze auch offen bleibt. durch Potsdam und saßen jeden Mitt- Andre Elsaßer woch einsatzbereit an verschiedenen Die Geburtsstunde einer Orten unserer Stadt, um auf mögliche neuen Bereitschaftspolizei Wie viele kleine Jungen hatte auch ungenehmigte Veranstaltungen außer- ich in meiner Kindheit den Traum, halb der Kirchen reagieren zu können. ein richtiger Polizist zu werden. Mein Die Menschen hier in Potsdam aber In der Folge änderte sich mein Leben Kindheitstraum erfüllte sich im Sep- waren friedlich und blieben es auch so wie das vieler damaliger Volkspoli- tember 1987. Nach einem Studium an bis zum Ende. Sie wollten keine Ge- zisten. Die Wachtmeister, die ja eigent- der Offi ziershochschule in Dresden walt und provozierten sie auch nicht. lich Wehrdienst bei uns leisteten, wur- begann ich meinen Dienst als Zugfüh- rer in den Kasernierten Einheiten der Volkspolizei. Endlich mit Menschen arbeiten und für die Menschen da sein. Der Gesellschaft etwas zurück- Ministerium des Innern geben von dem, was man schon als Vorschuss erhalten hatte. Am 7. Ok- tober 1989 (der letzte Geburtstag der VP-Bereit- Nachrichten- Transport- Hubschrauber- Anti-Terror- Dienststelle 10. Kompanie DDR) wurde ich befördert. Oberleut- schaften Bereitschaft polizei- einheit Einheit Blumberg (Köche) Bereitschaften 9. Kompanie nant der Volkspolizei. Ich war stolz. Aber was passierte um mich herum? Die Kasernierten Einheiten des MdI „All das, was ich mir ange Die zur Volkspolizei gehörenden Kasernierten Einheiten des MdI (Ministe- rium des Innern) bestanden aus den 21 VP-Bereitschaften, der Nachrichten- eignet hatte, schien plötz Bereitschaft (NaB), den acht Kompanien Transportpolizei-Bereitschaften, lich irgendwie nicht mehr der Hubschraubereinheit, der Anti-Terror-Einheit 9. Kompanie, der Dienst- stelle Blumberg und der 10. Kompanie (Köche). Deren Angehörige leisteten zu stimmen.“ Wehrdienst und wurden über die Wehrkreiskommandos eingezogen und als Reservisten der NVA entlassen. Bei der Dienstelle Blumberg handelte es sich Die Menschen wurden immer unzu- um den verbunkerten Befehlsstand, in den sich im Kriegsfall der DDR-In- friedener, die Geschäfte trotz angeblich nenminister und sein Stab zurückgezogen hätten. steigender Produktionsergebnisse im- mer leerer. Die Wachtmeister stellten so 20 Jahre Polizei BrandenBurg 9 Oktober ’89 – ein Land im Wandel den entlassen. Jeder konnte frei ent- Im Sommer 1989 nahmen die Protes- schrieben mit dem Versuch einer globa- scheiden, ob er weiter machen wollte te des deutschen Volkes auf dem Ge- len Aufklärung. Aus heutiger Sicht re- oder ob er einen Neustart in einem an- biet der ehemaligen DDR an Umfang lativ harmlos, aber zur damaligen Zeit deren Bereich versuchen wollte. Eini- und Schärfe zu. Demonstrationen in ein umfangreiches Politikum. Der In- ge plagte wohl das schlechte Gewissen den Großstädten gehörten zum Stra- halt dieser Flugblätter befasste sich mit über ihre bisherige Rolle in der Polizei. ßenbild und die damit verbundenen der SED-Politik und der Kernaussage, Deshalb verließen sie uns freiwillig. Der Einsätze – bis noch vor kurzem selten dass wir betrogen und belogen wurden. allmächtige Einfluss der Partei war über – gehörten nun zum polizeilichen All- Nacht wie Ostseesand durch die Finger tag. „Ich konnte und wollte verronnen. Zurück blieben auf dem rie- Ich war Oberleutnant der VP (Volks- nicht werten.“ sigen Kasernengelände in Potsdam-Ei- polizei) und wurde Anfang Oktober che eine Handvoll Leute, die bereit als Zugführer nach Berlin-Plänter- war, einen Neustart unter völlig ande- wald ins zentrale Einsatzfeldlager der Den Inhalt der Flugblätter habe ich ren, „rechtstaatlichen“ Bedingungen zu Bereitschaftspolizei abkommandiert. zur Kenntnis genommen und das ge- wagen. Dort angekommen organisierte ich den fundene Material an meinen nächst Wachdienst im Einsatzfeldlager. Das höheren Vorgesetzten weitergegeben. zentrale Feldlager beherbergte alle Ein- Meinen Dienst habe ich so fortgeführt „Mit dem Abstand von satzkräfte für den Großraum Berlin als ob sich nichts ereignet hätte. Zum und die nähere Umgebung. Der Dienst damaligen Zeitpunkt und unter dem gut 20 Jahren schaue ich als Wachzugführer entsprach aus heu- gewaltigen Einfluss der Reformbewe- gern auf diese spannende tiger Sicht einem normalen Schicht- gung sowie dem systematischen Abge- dienst mit dem Unterschied, dass eine sang der alten sozialistischen Regierung und ereignisreiche Zeit Schicht nicht nach 8 Stunden sondern konnte und wollte ich nicht werten. Im zurück.“ erst nach 24 Stunden endete. Mittler- Nachgang kamen unweigerlich Gedan- weile vergingen die Tage ohne größere ken mit Bewertungscharakter und die Die Geburtsstunde einer völlig neuen Vorkommnisse und ich nahm die ein- eigene ideologische Auseinanderset- Bereitschaftspolizei war gekommen – zelnen Berichte von der „Einsatzfront“ zung mit der Problematik. Im Ergebnis und ich war wieder dabei. Die erste in Empfang und leitete diese auch ent- paarten sich diese Gedanken mit einem Zeit war schwierig. Mit den unter- sprechend der Vorschrift weiter. Hoffnungsgedanken und auch einer ge- schiedlichsten Ämtern und Dienstgra- wissen Zukunftsangst. Mit der Wieder- den strukturierten wir die ersten Ein- „Verblüfft stellte ich fest, vereinigung und dem Aufbau eines de- satzeinheiten. Wir setzten die neue mokratischen Staates auf dem Gebiet dass sich die gemeldete Rechtsordnung durch, die wir noch gar der ehemaligen DDR konnte ich mich nicht richtig kannten. In dieser Zeit Lage erheblich von der wieder als Zugführer in der neuen Be- verließen sich viele auf ihr Bauchgefühl reitschaftspolizei etablieren. offiziellen Berichtslage und Rechtsempfinden. Was ist gerecht Seit den Oktoberereignissen ’89 sind unterschied.“ und was nicht. Alles zum Wohle unse- nun mehrere Jahre vergangen und ich res neuen, nun geeinten Volkes. habe mich intensiv mit meiner frühe- In den Medien wurden die Ereignis- ren Tätigkeit als Zugführer auseinan- Mit dem Abstand von gut 20 Jahren se aus der Sicht der SED-Parteiführung dergesetzt. So stelle ich immer wieder schaue ich gern auf diese spannende dargestellt und entsprachen in keiner fest, dass ich intensiver hinterfrage und und ereignisreiche Zeit zurück. Wenn Weise den realen Bedingungen vor Ort. sehr sensibel auf gewisse Entscheidun- ich mit meinen Söhnen oder jungen Irgendwann während meines Dienstes gen, bezogen auf die Bewertung rechtli- Kollegen über die damaligen Bedingun- wurde Einsatzalarm für meinen Wach- cher Belange, reagiere. Das blinde Aus- gen des Dienstes spreche, wird oft un- zug ausgelöst und ich musste das ge- führen von Befehlen oder besser gesagt gläubig der Kopf geschüttelt. Es kann samte Lagerareal nach Flugblättern ab- der sogenannte „Kadavergehorsam“ ge- sich eben keiner vorstellen, wie das da- suchen lassen. Während der Nachtzeit hören der Vergangenheit an. mals war. Manchmal denke ich, dass es erfolgte ein sogenannter Propaganda- ■ FRANK SELCHOW, gar nicht schlecht wäre, wenn auch sie angriff mit dem Ziel oder besser be- FD BESONDERE DIENSTE diese Erfahrungen im Leben und in der Gesellschaft gemacht hätten. Anders- rum ist es auch gut, dass es für sie von Anfang an möglich war, unter freiheit- lichen und demokratischen Verhältnis- sen ihr Leben zu gestalten. ■ ANDRE ELSASSER 10 20 JAHre PoLIzeI BrANdeNBurg „Sofort und unverzüglich“ Lange Schlangen und die polizeiliche Reaktion auf die neue Reiseverordnung Die Reisefreiheit von Bürgern der Lange Schlangen vor Die Aufgabe war nicht leicht und an DDR war stark eingeschränkt bzw. den Polizeidienststellen eine nächtliche Schließung war nicht faktisch nicht vorhanden. Dies führ- zu denken. Auch fragte ich mich, ob al- te zu viel Unmut bei den Betroffe- Ich hatte diese Pressekonferenz im le Wartenden so ruhig ausharren wer- nen. Unter Druck geraten beschließt Fernsehen nicht verfolgt. Einen Telefon- den, bis sie endlich ihr Visum im Perso- die ehemalige DDR-Führung ab No- anschluss hatte ich noch nicht und Mo- nalausweis haben oder ob es Auseinan- vember 1989, ständige Ausreisen, al- biltelefone waren noch Zukunftsträu- dersetzungen geben wird, weil es mög- so Reisen in die Bundesrepublik, nach me. So war eine Information durch die licherweise zu lange dauert. Antragstellung zu genehmigen. Rei- Dienststelle bzw. durch Verwandte oder Wie gesagt, Störungen sind mir nicht sen in die Bundesrepublik und nach Bekannte über Telefon nicht möglich. bekannt geworden. Ich glaube auch, Westberlin sollten mit der neuen Ver- Auch am nächsten Morgen habe ich dass die Menschen ihre neu gewonne- ordnung bis zu 30 Tagen pro Jahr ge- diese Information nicht wahrgenom- ne Freiheit und die damit verbundenen nehmigt werden. Vorgesehen war, die men. Also bereitete ich mich, wie im- Reisemöglichkeiten erst einmal verar- Erteilung eines Visums an den Besitz mer freitags, auf einen Termin im Rah- beiten mussten und gerade deshalb in eines Reisepasses zu koppeln. men der Vorbereitung auf das Studi- einer ruhigen Art und Weise die Warte- um an der Hochschule der Deutschen zeiten auf sich nahmen. Die Wartezei- Doch im Jahr 1989 besaßen gerade ein- Volkspolizei in Berlin-Biesdorf vor. Al- ten konnte man abschätzen, so dass ei- mal ein Viertel der DDR-Bürger einen so früh raus aus dem Bett, morgendli- nige die Schlange verließen, um für Es- Reisepass. che Dusche, Frühstück und los. Radio sen und Trinken zu sorgen, andere hiel- All diejenigen, die nicht im Besitz habe ich nicht gehört, sonst hätte ich ten den Platz dann frei. Die Menschen eines Reisepasses waren, hätten die- diese Neuigkeit sofort aufgenommen. unterstützten sich gegenseitig, die At- sen zunächst beantragen und sich so- Während der Fahrt zur Hochschule fie- mosphäre war immer ruhig und die mit mindestens vier Wochen auf de- len mir die langen Schlangen an den Stimmung nie gereizt. ren Erteilung gedulden müssen. Einer Polizeidienststellen auf. Ich hatte aber sofortigen Reisewelle aller DDR-Bür- keinen weiteren Gedanken daran ver- ger, so meinte man damals, wäre damit schwendet, weshalb so viele Menschen „Vergessen schienen ein Riegel vorgeschoben worden. Die- dort standen. Wer weiß, werde ich wohl die Tage zuvor“ se neue Reiseverordnung sollte am 10. gedacht haben. Nach dem Eintreffen an November gegen 04:00 Uhr bekannt ge- der Hochschule wurde ich neben wei- geben werden. teren Kollegen sofort über die Situation Im Rückblick kann ich sagen, wenn Die Mitarbeiter des Pass- und Melde- informiert und zu meiner Dienststelle auch die ersten Tage für mich und wesens der deutschen Volkspolizei wa- zurückbeordert. Dort wieder angekom- die Mitarbeiter sehr anstrengend wa- ren so auf den erwarteten Ansturm vor- men sollte ich die Mitarbeiter des Pass- ren, es hat viel Spaß gemacht. Es wur- bereitet. Doch es kam alles anders, als und Meldewesen des VPKA Potsdam de rund um die Uhr gearbeitet. In die- von der damaligen DDR-Führung vor- bei der Visumserteilung unterstützen. ser Zeit begegnete ich einer Vielzahl gesehen. von Menschen und kam mit diesen Günter Schabowski, Mitglied des ins Gespräch. Keiner von ihnen hat SED-Politbüros, informierte am 9. No- „Die Menschen ein schlechtes Wort geäußert bzw. sich vember 1989 die Weltöffentlichkeit auf über die Abläufe beklagt. Vergessen mussten die neu einer Pressekonferenz über die neue schienen auch die Tage zuvor, die De- Reiseverordnung der ehemaligen DDR. gewonnene Freiheit und monstrationen, die entstandenen Kon- Am Ende der Pressekonferenz, die live flikte und dass die Sporthalle auch als die damit verbundenen vom DDR-Fernsehen übertragen wur- Gewahrsam genutzt wurde. Reisemöglichkeiten erst de, verlas er die neuen Reiseregelun- Nach etwa 14 Tagen war der „An- gen: „Privatreisen nach dem Ausland einmal verarbeiten.“ sturm“ auf die provisorische „Visa-Stel- können ohne Vorliegen von Vorausset- le“ beendet. Einige Zeit später wurden zungen – Reiseanlässe und Verwandt- die VPKÄ, diesmal der Bereich KFZ-Zu- schaftsverhältnisse – beantragt werden. Das VPKA Potsdam richtete in ei- lassung, mit einem neuen Problem kon- Die Genehmigungen werden kurzfristig ner Sporthalle eine provisorische „VI- frontiert. Viele ehemalige DDR Bürger erteilt. Die ständige Ausreise kann über SA-Stelle“ ein. Es wurden Tische und hatten sich auf ihrer ersten Reise einen alle Grenzstellen der DDR zur BRD Stühle für ca. 20 Mitarbeiter aufgestellt PKW, ein Motorrad ja sogar einen LKW bzw. zu Westberlin erfolgen.“ Schabow- und der Einlass- und Ablaufdienst ge- gekauft. Diese mussten angemeldet und ski, der anschließend durch Journalis- regelt. Dann galt es an alle Wartenden, zu gelassen werden. Auch hier gab es ten in der Pressekonferenz gefragt wird, die Schlange war bereits in den ersten wieder lange Warteschlangen, diesmal wann diese Regelung in Kraft trete, ant- Stunden auf mehrere 100 Meter ange- auf den Fluren der Zulassungsstellen. wortete „sofort“ und „unverzüglich“. wachsen, ein Visum zu erteilen. ■ FRANK GüLDNER
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