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Leonhard Ragaz in seinen Briefen, Bd. 1. 1887-1914, hg. Christine Ragaz, Markus Mattmüller, Arthur Rich PDF

394 Pages·1966·9.6 MB·German
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Preview Leonhard Ragaz in seinen Briefen, Bd. 1. 1887-1914, hg. Christine Ragaz, Markus Mattmüller, Arthur Rich

Leonhard Ragaz in seinen Briefen 1. Band: 1887-1914 Leonhard Ragaz Porträt von Heinrich Altherr aus der Basler Zeit (Vgl. Mein Weg, Bd. I, S. 25 r) Leonhard Ragaz in seinen Briefen Herausgegeben von: Dr. oec. publ. Christine Ragaz Dr. phil. Markus Mattmüller Prof. Dr. theol. Artbur Rieb unter Mitwirkung von: VDM Hans Ulrich Jäger, Assistent am Institut für Sozialethik der Universität Zürich EW.z EVZ-VERLAG ZÜRICH © 1966 EVZ-Verlag Zürich Druck: Werner & Bisehoff AG Basel Printed in Switzerland Vorwort Die Briefe von Leonhard Ragaz, die nun erstmals den Gang in die Öffent lichkeit antreten, stammen aus den Jahren 1887-1914. Es sind die Jahre, in denen sich das theologische wie soziale und politische Denken des unge wöhnlichen Schweizers ausgebildet hat. Schon dieser Umstand allein ver möchte die Herausgabe der vorliegenden Briefsammlung genügend zu recht fertigen. Es ist mehr als reizvoll, den Gedankenspuren eines Mannes, der neue Wege bahnte, nachzugehen und die innere Dramatik seines geistigen Werdens durch das unmittelbarste literarische Medium, das es gibt, noch mals zu erleben. Die Briefe von Ragaz sind aber nicht nur darin bedeutsam, daß sie ein geistiges Schicksal von unalltäglichem Ausmaß widerspiegeln. In ihnen kommt indirekt kaum minder intensiv die Krisis der Welt zur Sprache, in der ihr Verfasser lebte und für die er, an ihr leidend, hoffte. Sie sind aus dem Grunde Dokumente von zugleich persönlichstem als auch sachlichem Charakter. Demzufolge wird nicht nur der nach ihnen greifen, der einen authentischen Einblick in die ganz persönliche Existenz von Leonhard Ragaz als Pfarrer, Seelsorger und akademischer Theologe wie als Bruder, Gatte und Vater gewinnen möchte. Auch der wird das tun, der ihn in seiner das Persönliche zwar immer einschließenden, aber doch zugleich weit übersteigenden «Sache» kennenlernen will, für die er seinen, vom aktuellen Zeitgeschehen nicht abzulösenden Kampf führte. Unter diesem zweiten Aspekt gesehen, ist die vorliegende Briefsammlung eine unerläßliche Quelle zur äußeren und inneren Erfassung der Anfänge der schweizerischen Religiös-sozialen Bewegung, des religiösen Sozialismus überhaupt. Sie hat darum den Rang eines gewichtigen Zeitdokumentes im Vorfeld der großen politischen, sozialen und theologischen Umwälzungen, die die Jahre nach dem ersten Weltkrieg brachten. Dieser doppelten Bedeutung wegen, die sie haben, erschien den Herausgebern die Veröffentlichung der Briefe von Leonhard Ragaz als eine wissenschaftliche Pflicht. Was die Auswahl der Briefe anbetrifft, so haben sich die Herausgeber um eine höchstmögliche Objektivität bemüht. Die Persönlichkeit von Ragaz soll unverkürzt in ihrem wirklichen Wesen, d.h. mit ihren Licht- und Schattenseiten greifbar werden, und die Sache, für die er eingetreten ist, soll in ihrem existentiellen Ernst wie in dem Menschlich-Allzumensch lichen, das immer auch damit verbunden war, zum Ausdruck kommen. Insofern wird diese Briefsammlung sowohl eine Ergänzung als auch eine V Korrektur der Autobiographie von Ragaz darstellen. Die Herausgeber hoffen, daß ihr bewußtes Streben, bei der Auswahl der Briefe die gebotene Objektivität zu wahren, selbst vor einem strengen Maßstab bestehen kann. Über die Selektionsprinzipien, die bei der Briefauswahl wegleitend waren, soll an dieser Stelle noch in Kürze Rechenschaft gegeben werden: Es wurden nur Briefe aufgenommen, die Bedeutung haben, sei es, daß sie für die Persönlichkeit ihres Verfassers kennzeichnend sind, sei es, daß sie die Entwicklung oder die Typik seiner Theologie zu erhellen vermögen, sei es auch, daß sie die Kenntnis seiner Biographie überhaupt bereichern oder ein zeitgeschichtliches Gewicht besitzen. Briefe von intim-familiärem Charakter wurden ausgeschieden, teils, weil sie nicht an die Öffentlichkeit gehören, und teils, weil sie den breiteren Leserkreis gar nicht interessieren dürften. Ausnahmen sind nur bei einigen wenigen Briefen gemacht worden, die gerade in ihrer Intimität besondere Seiten der Persönlichkeit von Ragaz zu beleuchten wissen. Im übrigen ließen sich die Herausgeber von folgenden editorischen Grundsätzen leiten: I. Die Briefe sind chronologisch und nicht nach den Adressaten zu gruppieren, um ein möglichst kontinuierlich-geschlossenes Bild von der Entwicklung der Persönlichkeit· ihres Verfassers und seines Denkens zu erreichen. z. Die einzelnen Briefe sollen vollständig geboten werden. Ausnahmen von dieser Regel sind wieder nur bei Stellen von intim-persönlichem oder intim-familiärem Charakter gemacht worden. Zudem wurden einige Passa gen von polemisch-verletzlichem Charakter gestrichen, sofern zu vermuten war, daß sie auch der Verfasser eliminiert haben würde, wenn er selbst die Drucklegung hätte besorgen müssen. 3. Die Orthographie ist der heutigen Schreibweise anzupassen, die Inter punktion dagegen weitmöglichst zu belassen, weil sie zu den Eigentümlich keiten von Ragaz gehört. 4· Ein Anmerkungsapparat soll diejenigen sachlichen, biographischen und historischen Informationen vermitteln, die für das Verständnis der Briefe notwendig oder doch förderlich sind. Auf eine Kommentierung der Briefe wurde verzichtet, mit Ausnahme einiger besonders schwieriger Stellen. Um ihr Verständnis, vorab nach der theologischen Seite hin, zu erleichtern, hielten es die Herausgeber für ange bracht, ihnen eine theologische Einführung voranzustellen. Am Schluß der Sammlung findet sich ein Verzeichnis sämtlicher Brief adressaten mit den wichtigsten biographischen Angaben, in der Meinung, daß der Leser daraus Gewinn ziehen könne. Die beiden anschließenden Register wurden von Herrn VDM H. U. Jäger, Assistent am Institut für Sozialethik der Universität Zürich, erstellt. VI Zum Schlusse möchten die Herausgeber allen denen verbindliehst danken, die Briefe von Leonhard Ragaz zur Verfügung gestellt haben. Ganz besonders wissen sie sich dem Forschungsrat des Schweizerischen National fonds verpflichtet, der durch einen großzügigen Druckkostenbeitrag die Herausgabe dieses Werkes ermöglicht hat. Zürich, im Spätjahr 1965 Christine Ragaz Markus Mattmüller Arthut Rich Abkürzungen Bibl. Bibliographie der Werke von Ragaz, bearbeitet von R. Lejeune NW Neue Wege, Blätter für religiöse Arbeit, I 906 ff. Biographie Markus Mattmüller, Leonhard Ragaz und der religiöse Sozialismus Mein Weg Autobiographie von Leonhard Ragaz TB Tagebuch von Ragaz VII Arthur Rich Theologische Einführung I Vorbemerkung Wer sich ernsthaft in das Ganze der vorliegenden Briefe von Leonhard Ragaz vertieft, wird dessen bald gewahr, daß sie streckenweise wie ein Labyrinth anmuten, in welchem sich zurechtzufinden schwierig ist. Denn ihr Verfasser hat auf der Suche nach seinem «Weg» viele, selbst die gegen sätzlichsten Pfade eingeschlagen. Ja, man wird sagen müssen, daß er sich, darin Pascal nicht unähnlich, von den Gegensätzen geradezu angezogen wußte. «<ch vereinige . . . manches in eins, was Sie sich nur als getrennt oder miteinander streitend vorstellen können», schreibt er an seinen Kritiker Paul Wernie (S. 282). Und an einer andern Stelle heißt es gar: «<ch bin ge wohnt, in Antinomien zu leben» (S. 204). Das spiegelt sich nicht allein in den oftmals verwegenen Wendungen, die seinen theologischen Werdegang kennzeichnen, das zeigt auch die Art seines zur Reife gekommenen Denkens, das sich nie nur von einem einzigen Kräftepunkt gefangen nehmen lassen kann, sondern immer auch den Gegenpol mitbedenken muß. In alledem waltet ein deutliches Gefälle, das Ragaz weit von seinem ursprünglichen Ausgangspunkt wegführte. Und in alledem kommt eine Struktur des Denkens zum Vorschein, die sich, einmal ausgebildet, in den komplizierten, oft jählings wechselnden Frontstellungen seines Trägers erstaunlich klar durchhält. Es soll nun im folgenden versucht werden, Schritt für Schritt diesem geistigen Gefälle nachzuspüren und Punkt für Punkt die innere Struk tur des theologischen Denkens zu erhellen, das schließlich daraus erwachsen ist. Im Interesse der gebotenen Übersichtlichkeit wird uns dabei die chrono logische Einteilung der nachfolgenden Briefe als äußerer Leitfaden dienen. IX II Das Gefälle in der theologischen Entwicklung von Leonhard Ragaz Erster Zeitabschnitt Der erste Zeitabschnitt dieser Briefsammlung umfaßt die Jahre 1887- 1893· In jenem Spatium hat Ragaz seine Studienzeit beschlossen und als Pfarrer der drei bündnerischen Gemeinden Flerden, Urmein und Tschappina am Heinzenberg gewirkt. Für die Erfassung seiner theologischen Entwick lung kommt dem Zeitraum keine große Bedeutung zu. Doch läßt er den theologischen Ausgangspunkt des Urhebers dieser Briefe deutlich werden. Es ist derjenige der liberalen Theologie, wie sie damals im Gebiet der deutschsprachigen Schweiz, vor allem unter dem überragenden Einfluß des Zürcher Systematikers Alois Emanuel Biedermann1 (I819-1895J, in der so genannten «Reform» eine profilierte Gestalt gefunden hatte. Ragaz war zwar nie ein direkter Schüler Biedermanns, doch hat er sich in seiner Studen tenzeit, und auch noch nach ihr, eingehend mit ihm befaßt. In einer Tage buchnotizvom 19. 10. 1889 gelobt er, «dem Erbe von Biedermann, Lang2 und Bitzius3 treu zu bleiben, gegenüber allen oberflächlichen Zeitrichtungen und Modetorheiten», worunter wohl vor allem die Ritschl-Schule 4 verstan den werden muß, die eben damals im deutschen Protestantismus, zum Teil auch im schweizerischen, eine theologisch-kirchlich starke Position gewon nen hatte. Wie sehr der junge Bergpfarrer im Grundsätzlichen mit der libe ralen Reformtheologie seiner Zeit übereinstimmt, zeigt am deutlichsten sein in der vorliegenden Sammlung unter Nr. 1 z abgedrucktes Bewerbungs schreiben an den bündnerischen Erziehungsrat für eine Lehrstelle an der Churer Kantonsschule. Freilich ist auffallend, mit welchem Nachdruck Ragaz schon in dieser frühen Phase darauf Wert legt, nicht als ein bloßer, dem « Parteischematismus » verfallener Nachbeter religiös-liberaler Ideen einge schätzt zu werden (S. 30) . Das und noch weitere Indizien des angeführten Briefes weisen darauf hin, daß er kein bequemes Glied der Reformpartei gewesen ist, sondern bereits in einer gewissen Spannung zu manchen ihrer Wortführer gestanden haben wird. Aber kaum aus dogmatischen, sondern wahrscheinlich aus ethischen, mit seinem sittlichen Rigorismus zusammen hängenden .G ründen 5• Doch wie dem auch sei: in seinen theologischen 1 Siehe Brief Nr. 3, Anm. 8. 1 Ebd. Anm. 6. 8 Ebd. Anm. 1· 'Dazu siehe Brief Nr. 25, Anm. xo. 6 Schon in Brief Nr. 4 (S. 8) bemerkt Ragaz bitter: «Ich gebe zu, daß wir in der Schweiz (und vielleicht auch in Deutschland) unter den sog. freisinnigen Studenten nur X

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