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Heinrich von Kleist : Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche PDF

316 Pages·2011·12.297 MB·German
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Preview Heinrich von Kleist : Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche

Jochen Schmidt H E I N R I C H VON KL EI S T Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche 3. Auflage Wissen verbindet Jochen Schmidt Heinrich von Kleist Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche 3. Auflage Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Einbandabbildung: Ansicht des Brandenburger Tors. Zeichnung, aquarelliert, um 1805, E A. Calau, Berlin, Märkisches Museum, © akg-images Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d~nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme, 3., durchgesehene Auflage 2011 © 2011 byWBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft}, Darmstadt 2., unveränderte Auflage 2009 1. Auflage 2003 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Janß GmbH, Pfungstadt Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-24475-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72063-7 eBook (epub): 978-3-534-72064-4 Inhalt L Der historische Horizont . . . . ............................................................... 7 1. Kleists Lebensweg bis zum Beginn der dichterischen Arbeit . . . . 7 Absage an die Militärlaufbahn S. 7 - Die Inszenierung der ,Kant-Krise‘: Ab­ wendung von den Wissenschaften und Entscheidung für das „schriftstelle­ rische Fach“ S, 12 2. Die geistige und politische Situation um 1800 ................................. 17 Aufklärung und Romantik S. 17 - Kleists aufklärerische Kritik an Kirche und Religion S. 22 3. Kleist und Rousseau; Naturkult und Zivilisationskritik ................. 27 4. Patriotisches Engagement und Preußische Reformen .................... 37 5. Zur Kleistforschung ..................................................................... 40 II. Die Dramen .................................................................................................... 49 1. Die Familie Schroffenstein ...................................................................... 49 Entstehung und Grundkonstellation S. 49 - Vorurteil und Voreiligkeit als strukturbildende Elemente S, 56 - Die Zerstörung des Menschlich-Natür­ lichen als zentrales Thema S. 59 - Shakespeare als literarisches Muster S. 62 2. Der zerbrochne Krug ................................................................................ 63 Der König Ödipus des Sophokles als dramaturgisches Muster und die klas­ sische Komödien-Situation der,verkehrten Welt1 S. 63 - Aristophanische Vital-Komik und Marthes komische Krug-Rede S. 69 - Strukturanalyse S. 74 - Der Mißerfolg der Weimarer Aufführung und die Bedeutung des ursprünglichen Schlusses für das Gesamtverständnis S, 76 3. Amphitryon............................................................................................... 84 Die Dramenhandlung und ihre mythologisch-literarischen Muster. Amphi­ tryon als Tragikomödie S. 84 - Goethes Beurteilung der Amphitryon-Ge- staltungen und Molieres Amphitryon S. 87 - Interpretationsmodelle zu Kleists Amphitryon: ein Forschungsüberblick S. 91 - Jupiter als Projektion der Alkmene S. 94 - Alkmenes Selbsterkenntnis S. 98 - Amphitryons „Ent- amphitryonisierung“ S.100 - Die Schlußpartie S. 102 4. Penthesilea ................................................................................... 105 Normenbruch und antiklassizistische Wendung S. 105 - Das Vorbild Euri­ pides S. 110 - Tragödienstruktur und szenische Darstellung S. 113 - Problemgehalt und tragischer Konflikt S. 116 - Penthesileas Sakralisierung des Amazonengesetzes S. 119 - Kleists Definition des tragischen Helden­ tums S. 124 - Penthesilea als Liebestragödie S. 126 5. Robert Guiskard ............................................................................ 128 Entstehung S. 128 - Legitimation politischer Herrschaft als Grundproblem S, 130 Inhalt 6. Das Käthchen von Heilbronn.................................................................. 137 Entstehungsmotive und Erfolg des Ritterschauspiels1 S. 137 - Romantische und märchenhafte Elemente S. 138 - Käthchen und Kunigunde: Die Oppo­ sition von Natur und Zivilisation S. 140 - Zum Problemgehalt der Schluß- partie S. 141 7. Die Hermannsschlacht ............................................................................ 143 Entstehung und Zeitbezug S. 143 - Kleists patriotisches Engagement S. 146 - Arminius und die Entstehung des deutschen Nationalbewußtseins S. 148 - Die Gestalt Hermanns und die Idee der Freiheit S. 151 8. Prinz Friedrich von Homburg.................................................................. 154 Entstehung, Quellen und historischer Hintergrund S, 154 - Die Erneue­ rung des stoischen Ethos S, 161 - Das Wechselspiel zwischen Kurfürst und Prinz S. 170 - Ein Spiel von Traum und Wirklichkeit S, 175 Iil. Die Erzählungen............................................................................................ 180 Kleists dramatische Erzählkunst ............................................................... 180 1. Das Erdbeben in Chili. Die Erschütterung aller Gewißheiten . . . . 183 2. Die Marquise von O... Die Geschichte einer weiblichen Emanzi­ pation .......................................................................................................... 197 3. Michael Kohlhaas in der Ära der Preußischen Reformen . . . . . . 207 Inhalt und Aufbau S. 208 - Der Erzähler S. 211 - Die politische Dimension: Reform oder Revolution S. 215 - Kritik an der lutherischen Obrigkeitslehre und ethische Problematik S. 234 - Das Ende als pessimistische Schein­ lösung S. 243 4. Die Verlobung in St. Domingo: Die Unentrinnbarkeit der Geschichte 244 5. Das Bettelweib von Locarno. Die Katastrophe einer überlebten Ord­ nung ............................................................................................................ 256 6. Der Findling. Identität als aporetisches Projekt................................. 260 7. Die heilige Cäcilie oder Die Gewalt der Musik. Kleists entschiedenste Auseinandersetzung mit der Romantik.............................................. 269 8. Der Zweikampf. Die Geschichte als Labyrinth des Sinnlosen . . . . 282 Bibliographie......................................................................................................... 296 L Der historische Horizont 1. Kleists Lebensweg bis zum Beginn der dichterischen Arbeit „Mär war es zuweilen auf dieser Reise, als ob ich meinem Abgrunde entgegen gienge.“ (Kleist an seine Braut am 21. Juli 1 SO 1)1 Kleists Lebenszeit war kurz bemessen. 1777 wurde er in Frankfurt an der Oder geboren, 1811 ging er in den Freitod. Die Schaffensperiode, in der er seine lite­ rarischen Werke und journalistischen Arbeiten verfaßte, fällt in das Jahrzehnt von 1801 bis 1811. Drei epochale Ereignisse haben sein Werk entscheidend ge­ prägt: die Französische Revolution mit ihren politischen und kulturellen Fol­ gen für ganz Europa, Preußens Zusammenbruch im Krieg mit Napoleon sowie die Preußischen Reformen, die nach der Niederlage in Gang kamen. Schon die Familientradition verband Kleist eng mit dem Schicksal Preußens. Zahlreiche hohe Offiziere befanden sich unter seinen Vorfahren, und auch er selbst sollte die militärische Laufbahn einschlagen. Für Angehörige verarmter Adelsfami­ lien gab es nur wenig Alternativen, so etwa die höhere Verwaltungslaufbahn im königlichen Dienst. Einen bürgerlichen Erwerbsberuf zu wählen, galt als nicht standesgemäß und hatte den Entzug des Adelstitels zur Folge. Absage an die Müitärlaufbahn Kleists Jugend liegt wie manches in seiner Biographie2 weitgehend im Dun­ kel. Sein Vater starb im Jahre 1788, seine Mutter im Jahre 1793, so daß er be­ reits mit fünfzehn Jahren elternlos war. Nach dem mehrjährigen Besuch eines 1 Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C, Seeba, Frankfurt 1987-1997, Bd. 4: Briefe von und an Heinrich von Kleist 1793-1811, hrsg, von Klaus Müller-Salget und Stefan Ormanns, Frankfurt 1997, Nr. 3, S. 27. Diese Ausgabe wird künftig zitiert: SWB mit Bandzahl, der Briefband als „Briefe“ mit Nr. 2 Die für Kleists Leben wichtigste Quelle neben seinen Briefen: Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen, hrsg, von Helmut Sembdner, Bremen 1957. Neuausgabe: München 1996. Den besten Überblick über Kleists Leben gibt Klaus Müller-Salget: Heinrich von Kleist, Stuttgart 2002, S. 18-122. Weitere Biographien im Literaturverzeichnis, darunter die ausführliche von Rudolf Loch (Göttingen 2003), die knappe, gut bebilderte und informierte von Peter Staengle (München 1998) und die weniger zuverlässige Bio-Bibliographie von Thomas Wkhmann (Stuttgart 1988). 8 Der historische Horizont Berliner Erziehungsinstituts trat er 1792 in das in Potsdam stationierte Garde- regiment ein. Bereits 1793/94 mußte er am Ersten Koalitionskrieg gegen Frank­ reich teilnehmen. Daran schlossen sich Garnisonsjahre in Potsdam an, in de­ nen er seine besten Freunde gewann; aber sonst war diese Zeit, trotz mancher Studien, die er treiben konnte, öde und eintönig. Der Widerwille Kleists gegen den Militärberuf wuchs, er versuchte aus der vorgezeichneten Laufbahn auszu­ brechen.3 Angesichts der Familientradition bedurfte es dazu erheblichen Mutes, und außerdem war die materielle Zukunft ganz ungesichert. Aber Kleist tat den Schritt mit Entschlossenheit, um der Kaserne und dem Exerzierplatz zu entkommen. An seinen ehemaligen Lehrer Martini schrieb er am 18. und 19. März 1799: Die größten Wunder militairischer Disciplin [... ] wurden der Gegenstand meiner herz­ lichsten Verachtung; die Offiziere hielt ich für so viele Exerciermeister, die Soldaten für so viele Sclaven, und wenn das ganze Regiment seine Künste machte, schien es mir als ein lebendiges Monument der Tyrannei. Dazu kam noch, daß ich den übeln Eindruck, den meine Lage auf meinen Charakter machte, lebhaft zu fühlen anfing. Ich war oft gezwun­ gen, zu strafen, wo ich gern verziehen hätte, oder verzieh, wo ich hätte strafen sollen; und in beiden Fällen hielt ich mich selbst für strafbar. In solchen Augenblicken mußte natür­ lich der Wunsch in mir entstehen, einen Stand zu verlassen, in welchem ich von zwei durchaus entgegengesetzten Prinzipien unaufhörlich gemartert wurde, immer zweifelhaft war, ob ich als Mensch oder als Offizier handeln mußte; denn die Pflichten Beider zu ver­ einen, halte ich bei dem jetzigen Zustande der Armeen für unmöglich.4 Diese Entgegensetzung von humanen und militärischen Pflichten läßt das Hu­ manitätsdenken der Aufklärung erkennen. Die Absage an das preußische Mili­ tär als das „lebendige Monument der Tyrannei“ erinnert an Lessings Wort, Preußen sei das „sklavischste Land von Europa“ (an Nicolai, 25. August 1769), und an sein Drama Minna von Barnhelm, in dem Major von Teilheim begrün­ det, warum er den Militärdienst quittiert. Allerdings sollte man den großen Brief an Christian Ernst Martini nicht naiv lesen. Kleist verfolgte mit seinen Briefen oft eine bestimmte Absicht, manchmal inszenierte er sogar ein phantasiereiches Rollenspiel. Ein amüsantes Beispiel für solche Selbstinszenierungen gibt der Brief vom 1. Mai 1802 an seine Schwester Ulrike. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in der Schweiz, am Thuner See, am Fuße der Schweizer Zentral-Alpen und glaubte offensichtlich, der im märki­ schen Sand zurückgebliebenen Schwester mit einer Schweizer Geschichte auf­ warten zu müssen. Zuerst erzählt er von einem „Mädeli“, und dann beginnt er auszumalen: „Sonntags zieht sie ihre schöne Schwyzertracht an, ein Geschenk 3 Zum historischen Hintergrund: Peter Baumgart: Die preußische Armee zur Zeit Heinrich von Kleists, in: Kleist-Jahrbuch (künftig: KJb) 1983, S. 43-70. 4 Briefe, Nr. 3, S.27, Kleists Lebensweg 9 von mir, wir schiffen uns über [über den Thuner See], sie geht in die Kirche nach Thun, ich besteige das Schreckhorn, u nach der Andacht kehren wir beide zurück“.5 Über das Schreckhorn aber, das Kleist während des Gottesdienstes bestiegen haben will, liest man im Konversationslexikon: „Kleines und großes Schreckhorn, zwei Gipfel des Finsteraarhornstocks im Kanton Bern, 3497 und 4080 m“. Auch der erwähnte Brief an Christian Ernst Martini vom 18. und 19. März 1799, der als eines der wichtigsten Zeugnisse des jungen Kleist gilt, ist nicht ohne weiteres als bare Münze zu nehmen. Die Absage an das Militär ist zwar ernstgemeint, die vorgebrachte Begründung mit ihrem auffälligen Huma­ nitätspathos aber wohl weniger. Kleist schreibt ausführlich über seine Neigung zu den Wissenschaften, zu Physik und Mathematik vor allem; sogar dem Grie­ chischen und dem Lateinischen will er sich widmen. Der Brief richtet sich an seinen alten Lehrer, von dem er Fürsprache bei den auf die Familientradition bedachten Verwandten erhofft. Kleist gibt einen Grund an, von dem er weiß, daß er bei dem Lehrer,ankommt1: seine angebliche Neigung zu den Wissen­ schaften. Was der Brief außerdem enthält, ist die populäre Aufklärungsphiloso­ phie über Tugend, Glück und Humanität. Die vorgeschützte Neigung zu den Wissenschaften hielt nicht lange, denn Kleist bewegte anderes. Zuerst aber ging er von April 1799 bis August 1800 zum Studium in seine Heimatstadt Frank­ furt an der Oder. Da er sieben Jahre beim Militär verloren hatte, war er schon wesentlich älter als seine Kommilitonen. Sein eigentliches Studienfach war die Jurisprudenz, daneben widmete er sich auch der Mathematik, Physik und Philosophie; Latein verstand sich bei alledem von selbst. In dieser Zeit lernte er Wilhelmine von Zenge kennen, die Tochter des Frankfurter Regimentskom­ mandanten, mit der er sich Anfang 1800 verlobte. Dieser Beziehung, die man nur unter Vorbehalt als Liebesbeziehung bezeichnen kann, entsprangen die schlimmsten Liebesbriefe der deutschen Literatur.6 Daß es mit der Liebe zu den Wissenschaften, die Kleist als Begründung für den Abschied vom Militär im Brief an den Lehrer Martini angegeben hatte, von Anfang an nicht znm Besten bestellt war, verrät bereits ein Brief, den er am 12. November 1799 an seine Schwester Ulrike schrieb: Wenn man sich so lange mit ernsthaften abstrakten Dingen beschäftigt hat, wobei der Geist zwar seine Nahrung findet, aber das arme Herz leer ausgehen muß, dann ist es eine wahre Freude, sich einmal ganz seinen Ergießungen zu überlassen; ja es ist selbst nöthig, daß man es zuweilen iris Leben zurückrufe, Bel dem ewigen Beweisen u Folgern verlernt das Herz fast zu fühlen; und doch wohnt das Glück nur im Herzen, nur im Gefühl, nicht im Kopfe, nicht im Verstände. Das Glück kann nicht, wie ein mathematischer Lehrsatz 5 Briefe, Nr, 68, S. 306. 6 Hierzu Hans-Jürgen Schräder: Unsägliche Liebesbriefe. Heinrich von Kleist an Wil­ helmine von Zenge, in: KJb 1981/82, S. 86-96. 10 Der historische Horizont bewiesen werden, es muß empfunden werden, wenn es da sein soll. Daher ist es wohl gut, es zuweilen durch den Genuß sinnlicher Freuden von neuem zu beleben; u man müßte wenigstens täglich ein gutes Gedicht lesen, ein schönes Gemälde sehen, ein sanftes Lied hören - oder ein herzliches Wort mit einem Freunde reden, um auch den schönem, ich mögte sagen den menschlicheren Theil unseres Wesens zu bilden,7 Aufhorchen läßt hier, daß vor allem die Dichtung, die Kunst als Vermittlerin von Glückserfahrungen genannt wird - im Gegensatz zur Wissenschaft, Und daß Kleist von den „Ergießungen“ des „Herzens“ spricht, denen man sich ein­ mal „ganz überlassen“ möchte, dürfte auf das literarische Gründungsmanifest der Frühromantik hindeuten; auf die von Wackenroder und Tieck im Jahre 1797 veröffentlichten Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, die auch Spuren in seinem erzählerischen Werk hinterlassen haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann man annehmen, daß Kleist bereits um 1800 nach Freiräumen suchte, in denen er sein Herzensbedürfnis nach Dichtung und Kunst stillen konnte; aber die Sorge um eine Existenz-Grundlage blieb. Bereits im Frühsommer 1800 siedelte er nach Berlin über, um eine Anstellung bei Hofe zu erhalten. Doch auch in der preußischen Metropole fand er nicht, was er suchte. Man stellte ihm einen Posten in der sogenannten ,Technischen Deputa­ tion4 in Aussicht, zu deren Aufgaben auch die Industrie-Spionage gehörte. Daß Kleist zur Probe sofort einen Spionage-Auftrag erhielt, dafür spricht ein Brief vom 25. November 1800 an seine Schwester Ulrike: Bei mir ist es inndessen doch schon so gut, wie gewiß, bestimmt, daß ich diese Laufbahn nicht verfolge. Wenn Ich aber dieses Amt ausschlage, so giebt es für mich kein besseres, wenigstens kein praktisches. Die Reise war das einzige, was mich reizen konnte, solange ich davon noch nicht genau unterrichtet war. Aber es kommt dabei hauptsächlich auf List und Verschmitztheit an, u darauf verstehe ich mich schlecht. Die Inhaber ausländischer Fabriken führen keinen Kenner in das Innere ihrer Werkstatt, Das einzige Mittel also, doch hinein zu kommen, ist Schmeichelet, Heuchelei, kurz Betrug - Ja, man hat mich in dieser Kunst zu betrügen schon unterrichtet - nein, mein liebes Ulrikchen, das ist nichts für mich.3 Kleists Situation spitzte sich zu: Nach der Absage an den Militärberuf stellte er auch das zivile Amt als Grundlage seiner materiellen Existenz in Frage. Daß er nun überhaupt jedes Amt ablehnte und somit den Gedanken an eine bürgerliche Existenz aufgeben wollte, dafür dürften zwei Gründe entscheidend gewesen sein. Der eine Grund ist in seiner dichterischen Neigung zu sehen, der andere in gesell­ schaftlichen Erfahrungen und auch in seiner Weigerung, sich den Verhältnissen anzupassen. Am 25. November 1800 schreibt er an die Schwester Ulrike, seine mit Abstand wichtigste Briefpartnerin und engste Vertraute: 7 Briefe, Nr. 8, S. 44 f. 3 Briefe, Nr.33,S. 170.

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