Thomas Meyer, Andreas Kilcher (Hg.) Die „Wissenschaft des Judentums“ Thomas Meyer, Andreas Kilcher (Hg.) Die „Wissenschaft des Judentums“ Eine Bestandsaufnahme Wilhelm Fink Gedruckt mit der Unterstützung von Christiane und Nicolaus-Jürgen Weickart Umschlagabbildung: Zur Umschlagabbildung siehe die Ausführungen auf S. 9. Foto: Thomas Meyer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2015 Wilhelm Fink, Paderborn (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5784-4 INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ........................................................................................................ 7 Einleitung ..................................................................................................... 9 ANDREAS KILCHER Vier wissensgeschichtliche Thesen zur Wissenschaft des Judentums ......... 17 GEORGE Y. KOHLER Judentum begraben oder wiederbelebt? Die Wissenschaft des Judentums – ihre Motive und ihre Wirkung ............. 27 JANA SCHUMANN Eine „dem Zeitgeist gemäße Gestaltung“. Konzeptionen jüdischer Identität und die Wissenschaft des Judentums ...... 63 ANDREAS BRÄMER Jüdische ‚Glaubenswissenschaft‘ – Zacharias Frankels rechtshistorische Forschung als Herausforderung der Orthodoxie .............. 79 MIRJAM THULIN Jüdische Wissenschaft „unabhängig von Bäffchen und Lehrstuhl“. David Kaufmann über die Wissenschaft des Judentums ............................. 95 KERSTIN VON DER KRONE Jüdische Wissenschaft und modernes Judentum: Eine Dogmendebatte .................................................................................... 115 ROBERT S. SCHINE Hebräische Sprache und Wissenschaft des Judentums: Chaim Nachman Bialiks Brief an die Herausgeber der Zeitschrift Dwir .... 139 CHAIM NACHMAN BIALIK Zur Wissenschaft des Judentums. Ein Brief an die Herausgeber des Dwir. Aus dem Hebräischen übersetzt von Robert S. Schine ................ 147 THOMAS MEYER Die Einheit von Wissenschaft und Religion. Die Herausforderung einer Wissenschaft des Judentums ............................ 159 6 INHALTSVERZEICHNIS MICHAEL A. MEYER Contrasting Aims of Wissenschaft des Judentums from 1902 to 1934 ....... 177 Personenregister ........................................................................................... 185 VORWORT Der vorliegende Sammelband geht ursprünglich auf einen Workshop zurück, den wir am 29. und 30. Oktober 2010 an der ETH Zürich ausrichteten. Der Workshop „Wissenschaft und Religion. Perspektiven in der jüdischen Moder- ne“ war Teil der einsemestrigen Gastprofessur „Wissenschaft und Judentum“, die Thomas Meyer im Wintersemester 2010/11 am Zentrum für Geschichte des Wissens (ETH/UZH) innehatte. Neben den Teilnehmern der Zusammenkunft in Zürich, konnten zwei wei- tere international renommierte Experten für die Geschichte und die Inhalte der „Wissenschaft des Judentums“ für den Sammelband gewonnen werden. Wir danken Michael A. Meyer (Hebrew Union College, Cincinnati) und Robert Schine (Middlebury College, Middlebury) sehr herzlich für ihre Bereitschaft, jeweils exklusiv für diesen Band geschriebene Texte zur Verfügung zu stellen. Bei der Vorbereitung und bei der Durchführung der Diskussionsrunde in Zürich half uns Eva Edelmann-Ohler in ganz besonderer Weise. Die Redakti- on des Sammelbandes lag in den Händen von Victoria Laszlo, die nicht nur die allfälligen Korrektur- und Vereinheitlichungsarbeiten erledigte, sondern zum guten Geist des Buches wurde. Beiden danken wir sehr herzlich für ihr Engagement und ihre Unterstützung. Andreas Knop und Raimar Zons danken wir sehr, dass dieser Band im Fink Verlag erscheinen kann. Ihre vielfach erprobte Gelassenheit gab uns stets das Gefühl, dass das Buch tatsächlich gewollt ist. Ein ganz besonderer Dank gilt Christiane und Nicolaus Weickart, die die Gastprofessur ermöglichen, den Workshop finanzierten und auch dieses Buch unterstützten. Die „Wissenschaft des Judentums“ ist bereits seit längerer Zeit ein Thema von historischen und judaistischen Betrachtungen. Der Sammelband versteht sich als Teil dieses Interesses an einer einmaligen Konstellation von Personen, Institutionen, Werken und Gedanken, die mehr als 130 Jahre lang das akade- mische und zu Teilen auch das intellektuelle Judentum in Westeuropa und später durch die Vertreibung durch die Nationalsozialisten auch in den USA prägte. Wir hoffen auf den folgenden Seiten einen eigenen, neuen Akzent in der breitgefächerten Diskussionslandschaft zur „Wissenschaft des Judentums“ setzen zu können. Um die bereits eingefahrenen Gleise verlassen zu können, haben wir bewusst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiede- nen Generationen eingeladen, mit uns über die „Wissenschaft des Judentums“ nachzudenken. Wenn Michael A. Meyer über seinen Lehrer Fritz Bamberger schreibt, dann stehen wir quasi in direktem Kontakt mit den letzten großen Vertretern dieses „Expertenkaders“, wie der politische Philosoph Leo Strauss sich und seine Kollegen Mitte der zwanziger Jahre charakterisierte. Mit Mir- jam Thulin und Kerstin von der Krone schreiben zwei Kolleginnen, die in ih- 8 VORWORT ren ersten Büchern, ganz neue Akzente im Umgang mit der „Wissenschaft des Judentums“ setzten. Und mit Jana Schumann ist fast schon wieder eine neue Generation vertreten, die durch ihre kulturwissenschaftliche Prägung einen ei- genen, anderen Schwerpunkt setzt. Am meisten gelernt haben vermutlich die beiden Herausgeber im Aus- tausch mit den Autorinnen und Autoren. Nicht zuletzt dafür danken wir allen Beteiligten. EINLEITUNG Bücher haben ihre Schicksale. Wie viele andere Bücher, so bezeugt auch das heute in Privatbesitz befindliche Exemplar, dem wir die auf dem Cover dieses Bandes wiedergegebene Widmung entnommen haben, die Wahrheit dieses Satzes. Eingeklebt ist die Widmung „Der Bibliothek der Hochschule für die Wis- senschaft des Judentums geschenkt von Herrn Prof. Dr. Julius Guttmann, Ber- lin“ in den Band „Fest- und Sabbathpredigten von Prof. Dr. Jacob Guttmann, weiland Rabbiner der Synagogengemeinde Breslau“. Man darf annehmen, dass der Band im Jahr der Publikation – im Herbst 1926 bei J. Kauffmann in Frankfurt am Main – der Bibliothek von dem Sohn des Autors und Herausge- bers der ausgewählten Predigten, zugleich Fakultätsmitglied und Vorsitzender des „wissenschaftlichen Ausschusses“ der angegliederten „Akademie für die Wissenschaft des Judentums“, geschenkt wurde. Dort wurde der Band neuge- bunden, und unter der Nummer 19220 in die Bibliothek aufgenommen. Julius Guttmann wechselte 1934, auf Einladung zunächst für ein Jahr, an die Hebräische Universität in Jerusalem, um dort den Lehrstuhl für „Jüdische Philosophie des Mittelalters“ zu übernehmen, den er bis zu seinem Tod 1950 innehatte. Dass er den Band bei der Ausreise oder bei seinem Kurzbesuch in Berlin und Breslau 1935 mitgenommen hatte, ist eher unwahrscheinlich, denn bis zur endgültigen Zerschlagung der in dem „Dritten Reich“ zwangsweise als „Lehranstalt“ firmierenden Institution im Jahr 1942, gab es einen Ausbil- dungs- und Lehrbetrieb. Doch irgendwann kam der Band nahezu unversehrt nach Jerusalem, wurde dann, ohne weitere Angaben, in den Bestand der Heb- räischen Nationalbibliothek aufgenommen. Lesespuren finden sich so gut wie keine. 2007 wurde das Exemplar von der Bibliothek ausgegliedert. Vater und Sohn Guttmann stehen paradigmatisch für Vieles, was die „Wis- senschaft des Judentums“ ausmachte.1 So waren sie Teil eines umfassenden Netzwerkes, das ganz Europa und die USA umspannte.2 Jacob Guttmann war über seinen Vater Moses Guttmann mit den letzten schlesischen Talmudge- lehrten verbunden, die aus der osteuropäischen Tradition stammten. Ab 1861 studierte er an dem sieben Jahre zuvor gegründeten Breslauer Rabbinersemi- nar, wo er sich zunächst mit dem späteren dänischen Oberrabbiner David Si- 1 Zu beiden Autoren gibt es keine Monographie. Der beste Text zu Jacob Guttmann bietet: Yossef Schwartz, „Eine neuthomistisch-christliche Brücke zum jüdischen Mittelalter. Jacob Guttmanns Darstellung jüdischer und christlicher Philosophien im Mittelalter“, in: Die Entde- ckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, hg. v. Görge K. Hasselhoff, Ber- lin 2010, S. 239-262. Zu Julius Guttmann siehe den Beitrag in diesem Band mit weiteren Li- teraturangaben. 2 Siehe dazu den Beitrag von Mirjam Thulin in diesem Band mit weiterer Literatur. 10 THOMAS MEYER UND ANDREAS KILCHER monsen anfreundete, dessen Schwester er heiratete.3 Auch Markus Brann, der 1920 einen Nachruf auf Guttmann veröffentlichte, war eng mit ihm befreun- det. Dass die Genannten zudem an regulären Universitäten promovierten – Guttmann mit einer beachtlichen Arbeit zur jüdisch-philosophischen Moderne: dem Verhältnis Spinozas zu Descartes – gehörte zu dem, was sich später im Klischee des „Rebbedoktor“ verdichtete: die quasi natürliche, damit aber in keiner Weise aufgehobene Zusammenspannung von Säkularem und religiösen Traditionen. Die „Breslauer“ blieben über Generationen und Fachgrenzen verbunden. Es waren Guttmann und drei weitere „Breslauer“, die 1870/71 als freiwillige Feldrabbiner im deutsch-französischen Krieg dienten. Immer wieder finden sich die Namen der „Breslauer“ der ersten Jahrgänge in den Stiftungsräten und wissenschaftlichen Gremien, in Zeitschriften und Vorständen von Gemeinden wieder. Häufig kooperierten die „Konservativen“ dabei mit den liberalen Ber- linern – bei aller bestehenden Konkurrenz. Julius Guttmann wiederum kooperierte von der Berliner „Hochschule“ eng mit seinem Cousin, dem Philosophen und Theologen Isaak Heinemann. Hei- nemann war es denn auch, der in der von ihm bis 1939 herausgegebenen „Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums“ den wissen- schaftlichen Nachruf auf Jacob Guttmann schrieb. Von Heinemann führt der Weg zurück an das Heinemann’sche Pensionat in Frankfurt am Main, und damit in die orthodoxen Kreise, die Herausforderungen der Moderne offensiv annahmen. Goethes dreifache Forderung an die bürgerlich-säkulare Traditi- onsweitergabe im „Faust“ – „Was du ererbt von deinen Vätern hast,/ Erwirb es, um es zu besitzen“ – kann sich innerhalb der „Wissenschaft des Juden- tums“ bestätigt finden. Wobei das Nebeneinander von Säkularem und jüdi- scher Tradition im Laufe des 19. Jahrhunderts als natürliche Rahmenbedin- gung der Moderne begriffen wurde. Zum vorliegenden Band Seit einigen Jahren ist ein neues und großes Interesse an Fragen der Religion nicht nur innerhalb der Kultur- und Religionswissenschaften, der Theologie, sondern auch der Literaturwissenschaft und der Philosophie zu beobachten. Der Hintergrund dieses Interesses ist vielfältig: politische Ereignisse wie 9/11 sowie die nachfolgende Debatte um religiösen Fundamentalismus und das Verhältnis von Politik und Religion trugen dazu ebenso bei wie die Erkennt- 3 Die Briefe an Simonsen sind vollständig erhalten. Simonsen konnte anders als Jacob Gutt- mann Arabisch, weshalb er für den Schwager und Freund stets damit zusammenhängende Fragen beantwortete. Aufgrund der Verbindungen zur Familie Simson gelang es, Guttmanns Ehefrau vor dem Holocaust zu retten.