Deutschland und der nächste ttrieg von Friedrich v. Bernhardt General der llavallerie z.v. NM einer Kartenskizze Sechste Auflage unter Berücksichtigung der veränderten militäri schen und politischen Verhältnisse neu bearbeitet DerKrieg undderMuthaben mehrgroße Dinge getan als die Nächstenliebe, Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verunglückten, wasistgut?fragtihr. Tapferseinistgut. Nictzschr,AlsosprachJarathustra, <,TeiI,»>.k!edk Stuttgart und Berlin 1913 I. G. Cotta'sche Suchhandlung Nachfolger Alle Rechte vorbehalten O«p>riUkt Z9I2 b>).Q.Ootta'scde vucdKanSIung ^»ckkolger Stuttgart Vorwort zur ersten bis fünften Kuflage Eine tiefe Erregung hat während des Sommers und Herbstes 1911 alle national gesinnten Kreise des deutschen Volkes ergriffen. Auf allen Herzen lastet die Überzeugung, daß es sich beim Austrag des Marokkostreits nicht um gewöhn liche Handels- und Kolonialfragen von minderer Tragweite, sondern um die Ehre und die Zukunft des deutschen Volkes handele. Eine tiefe Kluft hat sich aufgetan zwischen dem Empfinden der Nation und dem diplomatischen Vorgehen der Regierung. Nicht so klar wie über ihren Willen zur Macht war sich jedoch die öffentliche Meinung über die Gefahren unserer politischen Lage und die Opfer, die eine großzügige Politik hätte fordern müssen. Ob die Nation, die dem Ruf zu den Waffen in ihrer überwältigenden Mehrheit unzweifel haft mit Freuden Folge geleistet hätte, auch bereit gewesen wäre, dauernd schwere pekuniäre Lasten zu übernehmen, ist eine Frage, die ich nicht zu entscheiden wage. Das Feilschen um die Römermonate ist heute in Berlin wie früher in Regensburg das ausgesprochenste Charakterzeichen des deutschen Reichstags. Diese Verhältnisse haben mich veranlaßt, die folgenden Blätter, die zum Teil schon vor längerer Zeit niedergeschrieben wurden, gerade jetzt zu veröffentlichen. Daß wir an einem Wendepunkt unserer nationalen und politischen Entwicklung angelangt sind, darüber kann sich wohl- niemand täuschen. In solchen Zeiten ist es geboten, sich voll ständig darüber klar zu werden, welche Ziele man erstreben will, welche Schwierigkeiten zu überwinden sind und welche Opfer gebracht werden müssen. VI Vorwort Diese Fragen ^ unverhüllt durch diplomatische Bemän telung — möglichst klar und überzeugend zu erörtern, ist die Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Daß es nur vom natio nalen Standpunkt aus geschehen konnte, ist selbstverständlich. In dem stolzen Bewußtsein, das mir aus unserer Wissen schaft, unserer Literatur und den kriegerischen Taten unserer Vergangenheit erwachsen ist: einer großen Kulturnation anzu gehören, die trotz aller Schwächen und Irrungen der Gegenwart eine große Zukunft zu erringen hat und auch erringen wird, habe ich meine Überzeugungen niedergeschrieben aus der über strömenden Fülle eines deutschen Herzens. So glaube ich am wirksamsten auch in den Herzen meiner Leser das nationale Empfinden wachzurufen und den nationalen Willen zu stärken. Oktober 1911. Oer Verfasser Vorwort zur sechsten Kuflage Seitdem die ersten fünf Auflagen dieses Buches rasch hintereinander erschienen, haben zahlreiche politische und mili tärische Ereignisse die Weltlage auf das tiefste beeinflußt. Ich habe geglaubt, sie bei der Neubearbeitung berücksichtigen zu müssen, um dem Buche einen aktuellen Wert zu erhalten. Aber auch in der öffentlichen Meinung Deutschlands hat ein gewaltiger Umschwung stattgefunden. Wenn ich in dem Vorwort zu den ersten Auflagen dem Zweifel Ausdruck geben mußte, ob das deutsche Volk bereit sein würde, die für eine große Armee-Reorganisation nötigen finanziellen Opfer zu bringen, so ist dieser Zweifel heute völlig geschwunden. Unter dem furchtbaren Druck der politischen Lage, der Ge fahren, die uns umgeben, und der scheinbaren Unmöglichkeit, uns gegen die politische und militärische Überlegenheit der Triple-Entente aufzulehnen, anderseits aufgeklart durch die unausgesetzte Agitation national gesinnter Männer, hat das deutsche Volk sich zu der Überzeugung durchgerungen, daß wir den politischen Sturm, der uns bevorsteht, nur dann siegreich überwinden werden, wenn wir zur allgemeinen Wehrpflicht zurückkehren und alle die zahlreichen Lücken unserer Heeres organisation tatsächlich ausfüllen. Heute sind alle nationalen Parteien entschlossen, allen Forderungen gerecht zu werden, die das Kriegsministerium irgend stellt. Die einzige Besorgnis, die alle bewegt, ist die, daß die Behörde auch dieses Mal nicht ganze Arbeit machen möchte und die Leistungsfähigkeit und Willigkeit der Nation zu gering einschätzt. VIII Vorwort zur sechsten Auflage Deutschland weiß jetzt, daß es sich in den kommendenIahren um Sein oder Nichtsein handeln wird, und seine bestenMänner sind entschlossen, Alles an Alles zu setzen. Wo immer man im Lande hinhört, immer tönt uns derselbe Refrain entgegen: Nur keine halben Maßregeln, sondern große Opfer und große Leistungen. Das Kriegsministenum hat demnach völlig freie Hand, zu fordern, was es will. Möchte es sich seiner Aufgabe voll ge wachsen zeigen. Februar 1913. Oer Verfasser Einleitung )n weiten Kreisen der heutigen Kulturwelt hat der Krieg und sein Wert für die politische und sittliche Entwicklung der Menschheit eine Beurteilung gefunden, die geradezu eine Ge fahr für die Wehrhaftigkeit der Staaten zu werden droht, indem sie den kriegerischen Sinn zu untergraben bemüht ist. Auch in Deutschland sind derartige Anschauungen weit ver breitet, und ganze Schichten unseres Volkes scheinen den idealen Schwung verloren zu haben, der die Größe seiner Geschichte ausmacht. Bei steigendem Reichtum leben sie dem Augenblick, vermögen den Genuß der Stunde nicht mehr wie ehedem im Dienste großer Ideen zu opfern und verschließen genügsam das Auge für die Aufgaben unserer Zukunft und für die großen Fragen des Völkerlebens, die heute zur Ent scheidung stehen. Eines mächtigen Aufschwungs sind wir fähig gewesen. Durch gewaltige Tat erhob sich Deutschland aus politischer Zerrissenheit und Ohnmacht zu europäischer Vormachtstellung, Die Folgen dieses Aufschwungs auf uns zu nehmen und weiter fortzuschreiten auf der Bahn politischer und kultureller Macht entfaltung scheinen wir aber nicht gewillt. Uns graut gewisser maßen vor unserer eigenen Größe, und wir scheuen die Opfer, die sie von uns fordert. Anderseits aber wollen wir doch den Anspruch nicht ausgeben, den wir aus unserer ruhmvollen Ver gangenheit herleiten. So zeigt sich auch heute, wie richtig einst Fichte feine Volksgenossen beurteilte, da er sagte, der Deutsche könne nie ein Ding allein wollen, er müsse auch stets das Gegenteil dazu wollen. , v,Bernhardt, Deulschland und der nächste Krieg I 2 . .> Einleitung Die Deutschen waren früher das kriegsgewaltigste und kriegslustigste Volk Europas. Lange Zeit haben sie sich durch die Macht der Waffen und den Hochflug ihrer Gedanken als das Herrenvolk des Weltteils erwiesen. Auf ungezählten Schlachtfeldern aller Weltteile haben Deutsche geblutet und gesiegt, und auch in neuester Zeit haben sie bewiesen, daß der Heldenmut der Ahnen in den Enkeln weiterlebt. In merk würdigem Gegensatz zu dieser kriegerischen Veranlagung sind sie heute ein durchaus friedliebendes, ja wohl ein allzu fried liebendes Volk geworden. Es bedarf eines sehr starken Druckes, um ihre kriegerischen Instinkte wachzurufen und sie zur Ent faltung ihrer militärischen Kräfte zu drängen. Diese stark ausgeprägte Friedensliebe hat verschiedene tief gründige Wurzeln. Zunächst entspringt sie dem gutmütigen Charakter des deut schen Volkes, das zwar in doktrinärer Rechthaberei und Partei sucht eine große Befriedigung findet, aber es nicht gern zum Äußersten kommen läßt. Sie hängt aber auch noch mit einer anderen Eigentümlichkeit des deutschen Wesens zusammen. Wir haben das Bestreben, gerecht zu fein, und bilden uns sonder barerweise ein, daß auch alle anderen Völker, mit denen wir Wechselbeziehungen unterhalten, dieses Bestreben teilen. Wir sind immer bereit, die Friedensversicherungen der auswärtigen Diplomatie und Presse für ebenso echt und wahr zu halten wie unsere eigenen friedlichen Gedanken und verschließen uns hartnäckig der Einsicht, daß die politische Welt nur von Inter essen beherrscht wird, niemals aber von allgemeinmenschlichen idealen Bestrebungen. „Gerechtigkeit", sagt Goethe treffend, „Eigenschaft und Phantom der Deutschen." Wir sind immer geneigt, anzunehmen, daß Streitigkeiten zwischen Staaten sich in gerechter Weise friedlich schlichten lassen, ohne uns recht klar zu machen, was denn eigentlich internationale Ge rechtigkeit ist. Zu diesen Gründen der Friedensliebe, die im eigensten Wesen des deutschen Volkes ihren Ursprung haben, tritt dann noch der Wunschhinzu, sich im Erwerbslebennichtstörenzu lassen. Einleitung Die Deutschen sind ein geborenes Handelsvolk, «lehr als irgend ein anderes in Europa. Schon einmal—vorBeginn des Dreißigjährigen Krieges — warDeutschland die vielleicht größte Handelsmacht der Welt, und in den letzten vierzig Iahren hat mit dem erneuten Aufblühen der politischen Macht Deutschlands Handel einen geradezu erstaunlichen Aufschwung genommen. Trotz unserer geringen Küstenentwicklung haben wir in wenigen Iahren die zweitgrößte Handelsflotte der Welt geschaffen, und unsere junge Industrie scheut jetzt den Wettbewerb mit keinem der großen Industriestaaten der Erde. Überall in der Welt sind deutsche Handelshäuser angesiedelt; deutsche Kaufleute durchstreifen die ganze Erde; ja sogar ein Teil des eng lischen Großhandels befindet sich in den Händen von Deut schen, die allerdings ihrem Vaterlande meist verloren gegangen sind. Unser nationaler Reichtum ist infolge dieser Verhältnisse in raschem Steigen begriffen. Diese Entwicklung wollen unser Handelsstand und unsere Industriellen — Unternehmer wie Arbeiter — nicht gestört sehen. Sie glauben, daß der Friede dem Handelsverkehr am förderlichsten ist, in der Annahme, daß man uns überall einen ehrlichen Wettbewerb zugestehen werde, ohne zu bedenken, daß die siegreichen Kriege, die wir geführt, unser Erwerbsleben niemals gestört haben und daß es eben die durch den Krieg wiedergewonnene politische Macht war, die das mächtige Auf blühen des Handelsverkehrs überhaupt erst ermöglicht hat. Auch die allgemeine Wehrpflicht trägt zu der Friedensliebe bei; denn ein Krieg berührt heutzutage nicht nur, wie früher, gewisse begrenzte Kreise, sondern das ganze Volk wird in Mit leidenschaft gezogen; alle Familien, alle Stände werden zu dem gleichen Einsatz an Menschenleben gezwungen. Zu dem allen aber tritt noch das Wirken der im Zuge der Zeit liegen den allgemeinen Friedensideen, die Auffassung, daß der Krieg, an und für sich ein Zeichen der Barbarei, eines aufwärts strebenden Volkes unwürdig fei, daß nur im Frieden sich die höchste Blüte der Kultur entwickeln könne. Unter dem vielseitigen Einfluß solcher Anschauungen und 4 Einleitung Bestrebungen scheinen wir die Lehre ganz vergessen zu haben, die einst das alte deutsche Reich „mit Erstaunen und Entrüstung" durch Friedrich den Großen empfing, „daß die Rechte der Staaten nur durch die lebendige Macht behauptet werden"^); daß, was im blutigen Kampf errungen wurde, auch nur durch Kampf erhalten werden kann, und daß es gerade für uns Deutsche in unserer geographisch und politisch beengten Lage der größten Anstrengungen bedarf, um das Errungene zu be haupten und weiter zu entwickeln. Wir betrachten unsere kriegerische Rüstung als eine fast unerträglich schwere Last, die nach Möglichkeit zu verringern die eigentliche Aufgabe des deutschen Reichstages sei. Wir scheinen vergessen zu haben, daß gerade die bewußte Förderung unserer Wehrkraft nicht ein notgedrungenesÜbel, sondern die notwendigste Vorbedingung unserer nationalen Gesundheit und die einzige Gewähr unserer internationalen Bedeutung ist. Wir haben uns gewöhnt, den Krieg nur als ein Unheil zu betrachten, und wollen in ihm den größten Kultur- und Machtförderer gar nicht mehr erkennen. Neben diesem lauten Friedensbedürfnis und trotz der immerwährenden Wiederholung feiner inneren Berechtigung, leben aber doch auch noch andere Regungen, Wünsche und Strebungen, wenn auch unausgesprochen und vielfach unbewußt, in den Tiefen der deutschen Volksseele. Mit der politischen Einigung wenigstens des größeren Teils der deutschen Stämme und der Errichtung des deutschen Kaiser reiches ging ein jahrhundertelanger Traum des deutschen Volkes in Erfüllung. Seitdem lebt in allen Herzen — ich möchte selbst die Anhänger der staatsfeindlichen Parteien davon nicht ausnehmen — ein stolzes Bewußtsein der eigenen Kraft, der wiedergewonnenen staatlichen Einheit und der gesteigerten politischen Macht. Dies Bewußtsein wird getragen von dem festen Willen, diese Güter nie wieder preiszugeben, und die Überzeugung ist überall lebendig, daß jeder Angriff auf diese Errungenschaften das ganze Volk in einheitlicher Begeisterung ') Treitschke, Deutsche Geschichte I, S. S4.